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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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seiner Gedanken schämte. Die Scham reichte jedoch nicht aus, um allen Bildern der Sehnsucht zu entsagen, denn als er beim Würfeln um die Zimmerverteilung gewann, wählte er David als Kompagnon für die Nacht.
    »Ich hab die ganze Zeit schon gemerkt«, schwindelte er, »dass Rose so gern mit dir das Zimmer teilen würde.« »Ich auch«, schwindelte Liesel zurück. Sie nahm sich vor, am nächsten Tag nicht mehr Rose’ Jeans anzuziehen und in London eine Nachtcreme zu besorgen, die unmittelbar nach dem Auftragen in die Haut einzog.
    Weil die Lampe zu flackern begann und sie sich gut erinnerte, was das zu bedeuten hatte, gingen alle vier vor Mondaufgang zu Bett. Obwohl sie tagsüber so wenig gegessen hatten und auch am Abend nicht genug, schliefen sie satt und zufrieden ein, noch ehe die Klänge der afrikanischen Nacht einsetzten. Geweckt wurden sie von einem schrill balzenden Vogelpaar und einem kraftvollen Hahn, der noch nicht einmal die ersten Sonnenstrahlen abwartete, ehe er sich daranmachte, lebensfroh den neuen Tag zu verkünden. Die Reisenden erwartete in ihrer Unterkunft weder Wasser zum Waschen noch ein Frühstück; sie planten, sich unmittelbar nach dem Aufstehen nach Lon-diani aufzumachen und sich unterwegs bei erster Gelegenheit mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Um sieben Uhr früh jedoch trugen der mit Kindern so reich gesegnete Familienvater und der Sohn, dem im schönen Moment des Sieges die Hähnchenkeule entgangen war, einen halb mit Wasser gefüllten Eimer in den Raum, in dem David gerade seinem Vater erklärt hatte, dass er nach den Ferien gern vier- statt nur dreimal wöchentlich Einzelunterricht bei Rabbi White nehmen würde.
    »Breakfast is ready«, meldete der Herbergsvater von »Far-mer’s Delight«. Er zeigte beim Lachen alle Zähne. Das bräunliche Wasser goss er so langsam, dass kein Tropfen verschwendet wurde, in eine verbeulte Blechschüssel, die ihm sein Sohn hinhielt. Auch der Junge lachte. Von der Schüssel befreit, klatschte er in die Hände und stellte sich einen Moment auf ein Bein. Seine Zehen waren kräftig und standen weit auseinander. David hatte das Bedürfnis, dem Jungen über den kahlen Kopf zu streicheln, doch er unterdrückte seine Zärtlichkeit, denn er war zu scheu und zu britisch erzogen, um sich einem Fremden mehr als notwendig zu nähern, aber er lachte und klatschte ebenfalls.
    »Ich glaube, du hast schon einen Freund gefunden, David.« »Komisch, in London würde es mir nie einfallen, mich mit Kindern abzugeben.«
    »Es kann sein, dass sich englische Kinder nicht für Emotionen eignen«, sagte Emil nachdenklich. Er nahm sich vor, zu Hause mit David öfters über die eigene Kindheit zu sprechen. Weil er seinen Augen nicht traute, schaute er so lange zum Fenster hinaus, bis der Nebel der Erinnerung licht wurde. Im Gestrüpp sah er eine große gelbe Kaktusblüte, die von violetten Schmetterlingen mit weißen Punkten umflogen wurde, und einen stahlblauen Vogel, der auf einem dürren Zweig wippte. Sein Sohn, machte sich Emil klar, wusste so gut wie nichts über die Jahre, die der Vater als Pflegekind bei dem Pfarrer in Stevenage verbracht hatte, und wie schwer der Kampf um die eigene Identität gewesen war. Wie immer, wenn die Vergangenheit ihn einholte, spürte Emil den Druck in der Brust, der ihm Angst machte. Erst als er David ohne das Schuldgefühl des Kindes anschauen konnte, dessen Eltern ermordet wurden, ohne dass er ihnen beistehen konnte, kehrte seine Sicherheit zurück.
    »Ich glaube«, seufzte er, »Afrika ist tückisch.«
    »Das Leben ist tückisch«, antwortete der Sohn. Er war weder altklug noch aufdringlich, nur einer, der den Jahren voraus war und früh erkannte.
    Das nie mehr vergessene Frühstück wurde im Freien serviert. Unter einem reich mit Früchten bestückten Mangobaum, der in den ersten Tagesstunden noch Schatten spendete, standen die vier Sitzgelegenheiten aus dem Essraum und ein langes, über zwei Kisten gelegtes Brett. Eingedeckt war diese praktische Tafel mit einzelnen bunten Blättern aus der Illustrierten »Life«, vier gelben Tellern, einem Blechbecher für jeden, drei Löffeln und dem alten Schweizer Offiziersmesser, mit dem sich der Wirt am Vortag die Zähne gereinigt hatte. Mangos, von Schale und Kern bereits befreit, lockten vom großen Deckel eines
    Eimers. Neben den in der Sonne glänzenden Fruchtwürfeln lagen große Bananen. Sie hatten eine dunkelrote Schale und waren zu einer Pyramide arrangiert worden. In einer angeschlagenen

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