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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Sonnenfleck war von einer so intensiven Leuchtkraft, dass alle vier instinktiv ihre Augen mit den Händen schützten. David war der Erste, der wieder in den Fluss des Lebens spähte. So sah zunächst nur er, wie die kleine olivgrüne Meerkatze vom Baum sprang. Sie war ein fliegender Pfeil. Ihr Schwanz blähte sich im Wind, doch auf der Erde angekommen, setzte sie sich so ruhig hin, dass nur noch das feine Fell auf dem Kopf in Bewegung war. Mit zart-gliedrigen Händen scharrte sie die einzelnen Teile der geplatzten Mango zusammen, nahm das größte, schaute aufmerksam um sich und begann, das Fruchtfleisch entlang des Kerns abzubeißen. Das Äffchen hatte bezwingend schöne Augen, die noch im Schatten glühten, und einen Gesichtsausdruck, der bei Menschen als ernst und nachdenklich interpretiert wird. Jede Bewegung des possierlichen Tiers war graziös und flink. Obgleich es nun so unmittelbar in der Nähe von Menschen hockte, störte es sich weder an deren Stimmen noch an den schnalzenden Lauten, die es anlocken sollten. Trotzdem gönnte sich die grüne Diva nur wenige Herzschläge, um aus der überreifen Frucht Süße zu schlürfen. Dann sprang sie, aufgeregt schnatternd und die tropfenden Stücke der Mango an sich drückend, zurück in den Baum. Das war der Moment, in dem David die Vergänglichkeit als einen Schmerz empfand, der nie vergeht. Noch während er »Bleib doch« flüsterte, spürte er, was Wehmut vermag. Es machte ihn unsicher, seine Stimme zu hören. Er hatte keine Erfahrung mit der Melancholie, und er wusste nicht, dass sie dem Menschen das Ur-vertrauen nimmt. Noch nie hatte es ihm nach Natur oder Schönheit verlangt. Erschrocken nahm er sich vor, künftig vorsichtiger mit den Gedanken und Emotionen zu sein, die er laut werden ließ. Rose hatte sein Flüstern gehört und grinste. Erfrischt und tatenfroh verließ sie das Paradies der Geschwisterliebe. Nun stichelte sie mit der gewohnten Lust an der Provokation und verspottete gut gelaunt denjenigen, der zurückmutiert war vom Geliebten zum kleinen Bruder.
    Für die Abschiedsszene des afrikanischen Schauspiels ließ der heitere Regisseur von seinen vielen Darstellern nur den Sohn auftreten, mit dem er morgens das Waschwasser in die beiden Zimmer getragen hatte. Der Vater schwenkte den Strohbesen vom Vortag und klopfte mit dem Stiel eine kampfesfreudige Melodie auf das Brett, das als Frühstückstisch diente. Emil überreichte dem Besenartisten statt der zehn Dollar, die sie bei der Ankunft vereinbart hatten, fünfzehn. »Fünf mehr«, murmelte er mit der Verlegenheit derer, die sich ihrer Gutherzigkeit genieren, »das Geld ist für deine Kinder.« Wenn der Bedachte überrascht war, so zeigte er es nicht. Er dankte, wie es sich für einen Mann gehört, der eine Schule hat besuchen dürfen und der nicht mit einer einzigen Zunge reden muss - erst in Suaheli, dann in Englisch, schließlich in seiner melodischen
    Stammessprache, alle drei Mal mit weit ausholenden Gesten. Das schöne Entgelt für seine Gastfreundschaft zählte er trotzdem wie ein Realist, der jedes Risiko vermeidet und der sich stets vergegenwärtigt, dass Vertrauen sich nicht für die Klugen ziemt. Er hielt jeden einzelnen Schein gegen das Licht und biss auf die Münzen. »Wir haben dein Auto gewaschen«, sagte er, wobei er besonders deutlich artikulierte. »Es hat noch alle Spiegel und vier Räder. Hast du die Reifen schon gezählt, Papa?«
    »Zweimal«, lachte Emil. »Eins, zwei, drei und vier. Und der kaputte Ersatzreifen ist fünf. Wenn du willst, halte ich die Reifen auch in die Sonne.«
    »Warum sollte ich wollen, dass du deine Reifen in die Sonne hältst?«
    Rose stieg als Letzte in den Wagen, zögernd wie ein scheues kleines Mädchen, das sich auf Drängen der Eltern beim Gastgeber für die schöne Zeit bedanken soll und nicht weiß, wie. Seit der Ankunft in Nairobi hatte sie nur mit ihren Eltern und ihrem Bruder gesprochen. Anders als David, dem es sonst sehr viel schwerer fiel als ihr, mit Fremden in Kontakt zu kommen, hatte Rose sich nicht getraut, das Wort an die Afrikaner zu richten. Sie hatte noch nicht einmal mit dem Baby auf dem Rücken der Mutter geredet, das mit einem einzigen Schmatzer ihr Herz erobert hatte. Nun sprach sie endlich doch, zu leise und mit glühenden Backen. »Wie heißt der Hund?«, stammelte sie.
    Ihr Wirt für eine Nacht, der großherzige Spender von Maisbrei, Bananen und Okragemüse, in einer Hand den Besen, in der linken die Dollarscheine, schien sie nicht

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