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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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schließen konnte und dass die des Hundes immer größer und fordernder wurden. Das Tier winselte - einmal kurz und kläglich wie ein hungriger Welpe auf der Suche nach den Zitzen der Mutter. Behutsam legte Rose ihre Hand auf seinen kräftigen Nacken. »Ist schon gut, du Dummer«, tröstete sie. »Mir geht das oft genauso.«
    Durch das dichte, von der Sonne erwärmte Fell spürte Rose den Pulsschlag des Lebens. Ein Gefühl von einer noch nie erlebten Beglückung durchströmte sie, als die Wärme des feuchten Hundekörpers in ihr eine Glut entfachte, die ihren Körper vibrieren ließ; schon atmete sie im gleichen Takt wie der hechelnde Hund. Dann beugte sie sich zu ihm herab und drückte ihr Kinn gegen seinen Kopf. Seine Zunge war lang, die Zähne Furcht erregend, und doch wirkte der Hund unendlich freundlich in seiner Zutraulichkeit. »Bitte«, bat Rose, als sie zurückkehrte aus dem Tagtraum vom Frieden im Herzen und der ewigen Zufriedenheit der Seele, »lacht mich jetzt bloß nicht aus. Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist. Ich weiß nur, dass ich am liebsten aufstehen und auf dem Rücken dieses Hundes ans Ende der Welt reiten würde.« Ihre Stimme war anders als sonst, eher die einer entschlossenen Frau als die eines quengelnden jungen Mädchens, das Zerstreuung und Genuss als das Recht der Jugend einfordert.
    »Das kenne ich«, nickte David. »Und wie! Ich will auch oft aufbrechen und weiß nicht, wieso. Ich weiß immer nur, wohin ich will und dass ich auf jemanden warte, der mir den Weg zeigt.«
    Bruder und Schwester sahen sich an, verblüfft, auch erschrocken, doch ohne Verlegenheit und ohne den Spott, der lebenslange Rivalen davon abhält, zueinander zu finden. Beide kniffen sie ein Auge zu, als wollten sie Maß nehmen. Zu gleicher Zeit senkten sie den Kopf, und nun entflammte doch Hitze ihr Gesicht und ihre Arme; ihre Hände wurden heiß. Unter dem Tisch machten sie sich zum Aufbruch bereit. Davids Turnschuh berührte Rose’ Sandale. Noch wagten sie nicht, ihren Emotionen zu vertrauen und sich wie Verschwörer anzulächeln, die sich an der Gewissheit stärken, dass sie gemeinsam den Weg aus dem Irrgarten finden werden. Sie waren nicht mehr Bru-der und Schwester, nicht die hitzköpfigen Geschwister mit den geballten Fäusten und den Flammen in den Augen; nichts wussten sie mehr von Kain und Abel, die - jeder für sich - um Gottes Wohlwollen buhlten. Für einen Augenblick, gelebt im Paradies, waren ihre Herzen und ihre Seelen zusammengeschweißt. Als David seine Schwester anschaute und der Wind eine Rüsche ihrer tief ausgeschnittenen Bluse bewegte, dämmerte es ihm zum ersten Mal, dass sie eine Frau war und schön. »Cheers«, sagte er und schwenkte seinen Becher.
    Rose erwiderte seinen Blick und erkannte - auch zum ersten Mal -, dass ihr Bruder kein rothaariger kleiner Satan mit Sommersprossen war, der es als des Lebens Saft empfand, andere zu peinigen und Zwietracht zu säen. Sie begriff, dass bei ihm nicht die Jahre zählten, sondern seine Reife und Klugheit. Die ungleichen Geschwister standen an einer Kreuzung und hielten sich an den Händen. Stumm waren sie, doch nicht taub, denn sie wussten, dass Außergewöhnliches geschehen war. Es war Rose, von der damals alle wähnten, sie wäre leichtfertig und hätte kein Gespür für Ernst und Wert, die nie die Erinnerung an den Moment vergaß, da sie den schwer zu findenden Hafen der vorbehaltlosen Geschwisterliebe hatte aufleuchten sehen. Nur hat sie nie erkannt, dass es einen lebenslangen Einsatz erfordert, einen Hafen zu sichern.
    »Schade«, bedauerte David, »das Granny Gram Gramps nicht hier ist.«
    »Komisch, das habe ich auch gerade gedacht«, wunderte sich Rose.
    »Was ist heute bloß mit euch beiden los? Seid ihr krank oder in der Nacht heilig gesprochen worden? Ihr habt mindestens seit einer halben Stunde nicht mehr gestritten«, bohrte Liesel. Ihr Ton passte nicht zu ihrem Scherz. Er hatte zu lange Stacheln und davon zu viele, und er verriet die Missgunst und den Neid, die Frauen nicht als eine mütterliche Charaktereigenschaft zulassen mögen. Wie immer machte es Liesel unruhig, wenn ihre Kinder, ohne dass Anlass dazu gegeben war, von der Großmutter sprachen.
    Wieder raschelte es im Mangobaum. Es war ein leises, schnell flüchtendes Geräusch, gefolgt von dem kurzen Schrei eines Tieres und dem Fallen einer überreifen Mango. Die Frucht schlug auf der Erde auf und zerplatzte mit einem dumpfen Klang. Das orangefarbene Fruchtfleisch in dem

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