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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Schüssel aus blauem Steingut dampfte ein grünes Wurzelgemüse. Liesel identifizierte es als Okra, Rose - so fröhlich wie zu Hause nur an Tagen mit Geschenken oder einer neuen Jeansjacke - als die Nahrung, die sie vor Jahren in ihren ersten Malversuchen für die Kinder einer Schneckenfamilie kreiert hatte. Ein hoher Blechtopf war mit heißem Maisbrei gefüllt, der zu einem steifen Berg gekocht worden war.
    »Ugali«, staunte Liesel. »Sie nannten es Ugali. Unsere Boys auf der Farm haben das Zeugs jeden Abend gegessen. Man könnte mir die Augen verbinden, und ich würde Ugali am Geruch erkennen. Du lieber Himmel, im Leben hätte ich nicht an ein solches Wiedersehen gedacht.«
    »Habt ihr erwachsene Männer wirklich Boys genannt?«, wollte David wissen. »Tut mir Leid«, fügte er sofort hinzu und schlug sich an die Stirn. »Ich weiß auch nicht, warum ich immerzu Sachen sage, die ich nicht sagen will. Ich hab mir extra vorgenommen, das in den Ferien nicht zu tun.« »Macht fast gar nichts. Ich kann damit leben«, zwinkerte seine Mutter großzügig, »einer unserer Boys war genau wie du. Hauptsache dagegen.«
    Den ersten Bissen sicherte sich ein Marabu, der noch so jung war, dass er Federn auf dem Kopf hatte. Schnabel und Hals waren lang und kräftig. Der gefiederte Dieb zeigte keine Scheu, auf den zweiten Blick war er sogar eine Vogelschönheit; er wirkte umsichtig und so, als würde er die Menschen genau prüfen, mit denen er das Mahl teilte. Ohne Hast holte er das Gemüse, bei dem es sich tatsächlich um Okra handelte, vom Tisch und stolzierte erst nach dem dritten Happen davon. In den Ästen des Mangobaums raschelte es, ein feines, flüchtiges Geräusch.
    »Gibt es Engel in Afrika?«, fragte David.
    »Ich hab als Kind nichts davon gemerkt«, antwortete seine Mutter. Ihre Erinnerungen gaben ihre Tanten und Onkel und June frei und entschieden sich für ihre Eltern. In der Vertrautheit von Hampstead mit dem grauen Nebel am Morgen und den bequemen Polstermöbeln im Wohnzimmer hatte sie keinen Moment gezweifelt, dass die Reise nach Kenia für eine fast sechzigjährige Frau zu anstrengend sein würde, aber nun kam sie sich vor, als hätte sie ihre Mutter hintergangen. Vielleicht hätte die Londiani doch gern noch einmal gesehen. Sie sprach ja immer wieder von der Farm und den letzten Jahren ihrer Ehe. Auf alle Fälle, das machte sich Liesel klar und seufzte ins Okragemüse, hätte der Mutter die Safari in die Vergangenheit mehr Spaß gemacht als der Tochter.
    »Ist alles in Ordnung?«, erkundigte sich Emil.
    »Bestens, mein Lieber.«
    »Schmeckt es dir?«
    »Auch bestens.«
    »Da kann man mal sehen, was die Macht der Gewohnheit bedeutet. Ich glaube, ich werde bei Toast und Orangenmarmelade bleiben, wenn ich wieder zu Hause bin.« Kaum war der Marabu weg, zwängte sich der Hund vom Vortag durch das Gebüsch. Einen kurzen Augenblick blieb er stehen, schaute aufmerksam, um die Situation zu klären, ehe er einen Entschluss fasste, lief dann auf Rose zu, heulte kurz auf wie ein hungernder Wolf in einer Winternacht und schlug mit seiner kräftigen Rute gegen ihren Becher. Einen Moment schien er Emils Gelächter und dem scheppernden Ton, den er selbst verursacht hatte, nicht zu trauen, denn er spitzte die Ohren, kaute Luft und schluckte geräuschvoll. Er hängte die Zunge heraus, holte sie sofort wieder herein, schüttelte einige Tropfen Wasser aus seinem massigen Körper und stellte sich auf die Hinterläufe. Mit einem Laut, der aus seinem Bauch zu kommen schien, legte er seinen breiten Kopf auf Rose’ Schoß.
    »Wer bist du?«, flüsterte sie.
    »Du musst ihn küssen, schöne Schwester, dann wird er ein Prinz. Prinz Charming. Hat dich Granny denn nicht aufgeklärt?«
    Rose hatte noch nie ein Tier berührt. Als Neunjährige hatte sie sich heulend geweigert, das Meerschweinchen ihrer Freundin anzufassen, und auch später, wann immer sie Betsy besuchte, hatte sie einen Bogen um den Kanarienvogel gemacht, der in seinem Käfig sang und von Besuchern Salatblätter als Gage erwartete. Doch nur in dem allerersten Moment, als sie der Druck des Hundekopfes auf ihrem Oberschenkel noch ängstigte, empfand sie das Bedürfnis zur Abwehr. Der Hund streckte sich. Rose schaute dem freundlichen, schwanzwedelnden Tier in die großen, sanften, bernsteinfarbenen Augen. Sie schnalzte mit der Zunge und war fassungslos, dass sie es getan hatte. Wie ein scheuendes Kind presste sie ihre Lippen zusammen. Da merkte sie, dass sie ihre Augen nicht mehr

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