Und das Glück ist anderswo
stellen, die er beantworten konnte, ohne zu stottern. Miriam war ganz sicher, sie hätte einen Ausdruck von Stolz in Simons Augen entdeckt. Er hatte schöne, glänzende Augen. Sie verrieten nichts von seiner Pein. Die Ihrigen, erkannte Miriam und schämte sich, dass es so war, sahen das erst jetzt. Sie lächelte ihren Bruder an, doch der war zu überrascht, um zeigen zu können, dass ihn die ungewohnte Freundlichkeit seiner Schwester erreicht hatte. An Stelle des Schülers lächelte der Lehrer.
Es gefiel Miriam, dass David das ihm nicht zugedachte Lächeln spontan erwiderte. War er gewohnt, angelächelt zu werden? Dann gehörte er zu den Menschen, die Miriam beneidete, weil Liebenswürdigkeit für sie so selbstverständlich waren wie Gebet, Kleidung und Nahrung. Solche Menschen gaben dem Leben die freundlich hellen Farben, nach denen Miriam sich sehnte. Sie lächelte zum zweiten Mal und stellte, auch dies ein Auftrag der Mutter, ein Glas dampfenden Tee vor David. Mit einer winzigen Schüssel
Honig. »Zum Süßen«, murmelte sie, denn sie ahnte, dass er die Sitte nicht kannte, dem Tee durch Honig seine Bitterkeit zu nehmen.
Ihr Gesicht entflammte, als ihr klar wurde, dass sie mit einem fremden Mann gesprochen hatte, dem sie weder Aufmerksamkeit noch Antwort schuldete. David merkte nichts von ihrer Not. Er war ebenso verlegen wie Miriam. Er starrte auf das flache weiße Schüsselchen mit dem gelben Klecks Honig und traute sich nicht, die Überbringerin der süßen Aufmerksamkeit anzuschauen. Er sah nur die runden Kappen ihrer groben Schuhe. Für den Rest des Tages quälte ihn der Gedanke, dass er sich wie ein Tölpel von seiner Unbeholfenheit hatte überrumpeln lassen. Sein hölzernes Verhalten und die kindische Art, den Kopf zu senken und den Honig zu fixieren, als wäre der immer noch das Symbol für die Fruchtbarkeit des Gelobten Landes, hatten dazu geführt, dass David der Moment des Begreifens wie einer erschienen war, der sich in nichts von denen vor ihm unterschied. Zweimal hatte David kurz genickt, und erst, als ihm bewusst wurde, wie einfältig er wirken musste mit seinem wackelnden Kopf auf zu schmalen Schultern und mit brennend roter Haut, hatte er seinen Dank gehaspelt. Wie ein Narr, der erst mühsam im Hirn herumrührt, ehe er die Worte ausspucken kann, war er sich dabei vorgekommen, wie der Narr aller Narren. Und doch brauchte David - selbst Jahre nach diesem Tag - nur die Augen zu schließen, um den Augenblick zurückzuholen, da ihn der Blitzschlag getroffen und er begriffen hatte. Dieser Moment hatte einen unbeholfenen Jungen von achtzehn Jahren, der morgens in den Spiegel blickte und den nicht kannte, den er sah, zu einem Mann gemacht, der fortan immer wissen würde, wohin er wollte und wie er sein Ziel erreichte. Damals hatte David noch nicht begriffen, dass ein Augenblick, der im Paradies gelebt wird, ewig währt. Das Paradies, soweit es das Leben auf Erden betraf, hatte er noch nicht einmal herbeigesehnt, und doch hatte er es gefunden. Eine tiefe, ihn verzehrende Sehnsucht versengte seinen Kopf und seinen Körper, die Nerven und die Seele. Als jede einzelne Flamme dieses Feuers, das in solcher Intensität nur einmal im Leben brennt, zu einem Glücksgefühl wurde, taumelte sein Verstand. Nur noch ein einziger Gedanke war in ihm: Er wollte, nein, er musste Miriam Myers heiraten.
Er hatte sie kaum gesehen, nicht den Mut gehabt, ihr nachzuschauen, als sie eilig das Zimmer verließ. David kannte nicht die Farbe ihrer Augen, er hatte nicht auf ihre Lippen geblickt und nicht auf ihre Hände. Er kannte nur ihren Namen, der nun, da er sich entschlossen hatte, Gott um sie zu bitten, auf seiner Zunge süß war wie der Honig in der kleinen Schale. Er wusste nicht, wie alt sie war, ob sie einfältig und schwerfällig war wie ihre Brüder oder klug und besonnen wie ihr Vater. David hatte keine Ahnung, was ihr Vater mit ihr plante und ob sie nicht bereits einem Mann mit Erfahrung, Beruf und Vermögen versprochen war, mit dem er sich noch in Jahren nicht würde messen können. David hatte weder Erfahrung noch einen Beruf, auch kein Vermögen und noch lange nicht eine Zukunft, und dennoch verschonte ihn die Gehässigkeit des Zweifels. Miriams langer Rock bauschte sich wie ein volles Segel vor seinen Augen, als sie, das leere Tablett in der Hand, zur Tür ging. Ehe sie nach der Klinke griff, drehte sie sich um. Kein Lächeln erhellte ihr Gesicht. Koketterie und Kalkül waren ihr nicht gegeben. Behutsam zog sie
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