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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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die Tür hinter sich zu, um das störende Geräusch zu dämpfen, das sich nicht um die Bedürfnisse eines Mannes schert, der lernt und lehrt. Miriam hatte früh zu dienen gelernt.
    David spürte eine gewaltige Erregung. Sie machte ihn willenlos und doch nicht schwach, presste die Luft aus seinem Brustkorb, als wäre der Riese Goliath auf die Erde zurückgekehrt, um Rache für den Stein aus Davids Schleuder nehmen. Die Erregung steigerte sich mit einem berstenden Schlag zu einem Rausch, der Feuer in seinen Kopf trieb und seine Knie so schwach machte wie in Kinderzeiten, wenn er in der Sportstunde mehr und weiter hatte rennen müssen, als es seine Kräfte zuließen. Da begriff er, was geschehen war. David Procter, achtzehn Jahre jung und so empfindsam, wie viele Männer es nie werden, hatte die Zeichen erkannt. Er wusste, dass er nur mit einer Frau, wie Miriam eine war, leben wollte. Ein Sonnenstrahl traf die Türklinke. Im Augenblick, da ihn jeder seiner Sinne in die Verheißung trieb, wähnte er, Miriam würde wieder an der Tür stehen. Das Tablett in ihrer Hand war aus purem Gold.
    »Machen wir weiter«, forderte er Simon auf, als der Tag ihn zurückholte und ihm wieder Stimme gab. Sie beugten sich über die Bücher, das Kind, das nie auf einem Gipfel stehen würde, und der junge Mann, der seine Zukunft gesehen hatte. Das Papier war gelb geworden in den Jahren des Lernens, doch die hebräischen Buchstaben leuchteten. Sie machten deutlich, dass die Freuden des Lesens ewig sind und von Gott befohlen werden. Simon las mit singender, noch ungebrochener Stimme. Sein schmales Gesicht war ernst. Für einen Augenblick machte es der Eifer klug. Der Junge stand auf, ohne dass der Lehrer es ihm befahl. Er wiegte den Körper nach vorn und wieder zurück, wie er es bei den betenden Männern in der Synagoge sah. Den Knabenkörper im Rhythmus des Lesens schaukeln zu sehen machte David schläfrig. Der Honig war noch in seinem Mund, war ein süßes Versprechen auf der Zunge. Es machte einen, dem bis dahin die Verlockung noch nie die Ruhe genommen hatte, pflichtvergessen und leichten Sinnes. Zufrieden schloss David die Augen. Hinter dem Vorhang der Lider fingen die Buchstaben, auf die er eben noch mit dem Stift gedeutet hatte, damit der Schüler beim Lesen nicht in die falsche Zeile geriet, wild zu tanzen an. Die kühnsten von ihnen wurden so stark wie Samson, als er noch ein mächtiger, unversehrter Langhaariger gewesen war. Kraftvoll und kriegerisch sprangen die Buchstaben aus den Seiten. Der entrückte Lehrer in einem Paradies, von dem er noch am Abend zuvor nichts gewusst hatte, ließ es zu, dass Simon der Eifrige dabei war, zurück in die Schlucht des Unwissens zu stürzen. Schon stolperte er und hatte Mühe, wieder aufzustehen. David streckte seine Hand aus, um nach den gedruckten Zeichen zu greifen, die auch den Klugen den Gehorsam verweigern, wenn sie ihren Träumen nicht beizeiten entkommen. Obgleich sich jeder einzelne von den Aufsässigen mit einer Verbissenheit wehrte, die einem Buchstaben nicht zukam, gelang es David schließlich doch, seine Gegner zu bezwingen und wach zu werden. Er jagte die Versucher zurück ins dunkle Tal, zwang seine Augen auf und überschritt aufatmend die Brücke zur Wirklichkeit. Als er tief einatmete, merkte er, dass er immer noch die Botschaft hörte und dass sie eine der Verheißung war. Mit Tränen tranken seine Augen die Freude.
    Obgleich der Schüler ihn nun fragend ansah und eine Hand an der anderen rieb, weil er ohne Stütze nicht mehr lange würde weiterlaufen können, nahm sich sein Lehrer
    Zeit, ehe er wieder in das Geschehen eingriff. Seine Glieder waren heiß. Die Stirn brannte. Er wusste, dass er ein für alle Mal seinen Weg und das Ziel erkannt hatte. David Procter, der nie einer wie die anderen hatte werden wollen, würden die kränkenden Umwege erspart bleiben, auf denen die Jugend so oft Orientierung und Mut verliert. Während er die Jubelschläge seines Herzens zählte und seine Hand auf die Brust presste, erstellte David die Bilanz seiner Zukunft. »So Er es will«, murmelte er.
    Simon sah ihn verblüfft an und lächelte. Er ahnte, dass auch die Reifen und die Weisen und die, die sich ihre Fehler nicht anmerken lassen, sich wie die Kinder verirren, sobald sie Bildern nachgeben, die sie von der Pflicht in die Freiheit führen. David nickte dem Jungen zu und lächelte auch. Seit wann war eine Frau wie Miriam die Seligkeit, um die er bitten und beten würde? Seit dem Augenblick,

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