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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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da er sie erblickt hatte? Seit Rabbi White die Sehnsucht nach der Welt des Glaubens in sein Herz gepflanzt hatte? Seitdem er ein Denkender geworden war? Ein Leben lang? Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass eine Ehe mit Miriam eine erfüllte und gesegnete sein würde, denn sie war zu der Gläubigkeit erzogen worden, nach der er sich alle Tage und jede Nacht sehnte.
    David war sicher, dass er sich nicht täuschte. Er fühlte, dass sich Gott mit einem jungen Mann, der solche Vorstellungen von der Ehe und vom Leben hatte, keine Scherze leistete. Wohl prüfte der Allmächtige die Ernsthaftigkeit eines Mannes, der eine Frau zu seiner machen wollte. Diejenigen aber, die ihm mit so großem Vertrauen dienen, führte Er nicht in die Irre. In dem Moment, da Miriam das erste Mal mit ihm gesprochen hatte, hatte David endlich einen Satz aus dem Talmud begriffen, der ihn bereits als Kind be-schäftigt hatte. Weil seine Mutter nur zwei Kinder geboren hatte, war dieses Gebot ihm sehr lange verschlüsselt gewesen: »Seid fruchtbar und vermehret euch.«
    Das wollte David, und nur Miriam wollte er zur Mutter seiner Kinder machen. Weiter vermochte er nicht zu denken, doch noch nicht einmal für den Bruchteil einer Sekunde ließ ihn die Vorstellung zögern, dass er einem Elternhaus entstammte, das der modernen Zeit sehr viel näher stand als dem Judentum. Seine Mutter war auf einer Farm in Afrika und in einem britischen Internat aufgewachsen, sein Vater, als Zehnjähriger ohne Eltern und ohne Bindungen in England angekommen, in einer britischen Pfarrersfamilie erzogen worden. Religion war ihnen beiden gleichgültig. Jüdisches Wissen hatten sie nie begehrt. Ihnen reichte das Bewusstsein um ihre Wurzeln und dass sie die Tradition ihrer Eltern fortsetzten. Und dennoch ließ David den Einwand nicht zu, der von seinen Eltern, der Großmutter und auch von Samy kommen würde, ja von Samy, dem liebenswerten Gütigen, der sonst so bereit war, sich mit jedem Thema auseinander zu setzen, das die Jugend bewegte. In dem Umfeld, in dem Liesel und Emil, Martha mit Samy, David, Rose und ihre Weggenossen lebten, wurde eine frühe Heirat nur für Mädchen akzeptiert. Die Hochzeit einer Teenagertochter wurde enthusiastisch gefeiert - als Glück und Seligkeit und als der Beweis, dass die stolzen Eltern schöne Töchter hatten, um die sich Männer in guter Stellung und mit guten Aussichten rissen.
    Söhne heirateten so spät wie möglich. Wünsche oder gar die feste Absicht, aus dieser bewährten Konvention auszubrechen, waren ihnen umgehend auszureden. Zukunftspläne von männlichen Achtzehnjährigen galten als unreif und im besten Fall als skurril. Hochzeiten von Jungen, die gerade der Pubertät entkommen waren, waren absurd. Sie waren eine Absage an die Vernunft, eine Provokation, eine Verfehlung wider den guten Geschmack und wider die zu jedem Opfer bereiten Eltern, denen der Sohn gemäß jüdischer Tradition ein Leben lang Dank schuldete. Wer das vergaß, dem gewährte das Schicksal kein Pardon.
    In der assimilierten Welt der Procters heirateten die jungen Männer nicht, ehe ihre Selbstständigkeit durch Leistung und Karriere zu belegen war. Achtzehnjährige Knaben hielten sich für Helden und wurden als Helden gefeiert. Noch ehe sie eingeschult wurden, wussten sie, dass ihnen die Bewunderung der Eltern mit der gleichen Selbstverständlichkeit zustand wie die Spiegeleier zum Frühstück und ein neuer Anzug zu den hohen Feiertagen. Junge Männer, die gerade die Schule beendet hatten, stellten sich nicht unter einen Hochzeitsbaldachin, um mutwillige junge Mädchen zu heiraten, die den Schwiegermüttern das Herz ihrer Söhne stahlen.
    Die jungen Recken, die von ihren Eltern, Großeltern, Tanten und Onkel angebetet wurden, gingen in Discos und tanzten sich lahm. Oder sie schrien sich bei Sportveranstaltungen oder in Konzerten für die Massen heiser. Wenn es das väterliche Einkommen gestattete, wurden sie auf Reisen geschickt, damit sie in der Fremde das Leben ausprobierten und erwachsen wurden. Sie studierten an den bestmöglichen Universitäten und imponierten der Verwandtschaft und Freunden mit Leistungen, die die eigenen Eltern nicht beurteilen konnten und um die sie die Eltern von nur durchschnittlich begabten Kindern seufzend beneideten. Den Freundinnen imponierten diese strahlenden Genies eigener Prägung mit Vaters Konto. Von
    Vätern, die nicht gewohnt waren, ihren Söhnen einen Wunsch abzuschlagen, erbettelten sie erst die Autoschlüssel und

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