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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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sättigende Zukunft ansagten. An diesem Morgen schnurrte sie bei der Morgentoilette, denn auf dem Fensterbrett stand ein frisch gebackener Nusskuchen. Mieze war ein rundum glückliches Tier, das seine Lebenssituation von Jahr zu Jahr verbessert hatte. Martha aber, der dieser Zustand zu danken war, soweit er des Lebens nahrhafte Seite betraf, schüttelte den Kopf. Ein wenig ungehalten und recht betreten zitierte sie ihr Lieblingssprichwort. »Was man nicht im Kopf hat, hat man in den Beinen«, sagte sie. »Ich hätte nie gedacht, dass ich das eines Tages zu mir selber statt zu Rose sagen muss.«
    Das Reuebekenntnis war ausschließlich für die feinen Ohren von Mieze bestimmt, doch statt der diskretesten Katze der Welt gab der Mann Antwort, dem es nie am rechten Wort zur rechten Zeit mangelte. Samy, angelockt von Marthas Stimme und ein ganz klein wenig auch vom Duft einer köchelnden Hühnersuppe, dem er schon in der Küche seiner Mutter im geliebten Offenbach nicht hatte widerstehen können, stand mit eingeseiftem Gesicht an der Küchentür. Erstens sagte der Charmeur, dessen Phantasie im Alter noch üppiger blühte als die Passionsblume seiner seligen Gattin auf dem Fensterbrett im Wohnzimmer: »Solange es so schöne Beine sind wie deine, meine Liebe, kann dir der Zustand deines Gedächtnisses vollkommen egal sein.« Zweitens erbot er sich, gleichgültig zu welchem Ziel ihn seine Galanterie treiben würde, auf der Stelle alles zu holen, was Martha zu besorgen vergessen hatte.
    »Für dich laufe ich bis ans Ende der Welt und komme mit einem silbernen Keks von der Milchstraße zurück. Schick den alten Samy nur ins feindliche Leben.«
    »Aber erst müsste der alte Samy sich fertig rasieren und zum Zweiten die Pyjamahosen ausziehen«, zählte Martha die Methodische auf, »und in der Zeit kann deine dumme, vergessliche Haushälterin, die keinen Schuss Pulver wert ist, selbst zum Gemüsegeschäft gehen und die Karotten holen.«
    »Wenn alle Männer eine solche Haushälterin hätten wie ich, gäbe es keine Altersheime«, philosophierte Samy. Er zwinkerte seiner Katze zu. Derweil überlegte er, mindestens zum zehnten Mal im Verlauf der letzten vier Wochen, ob er nicht endlich Martha den Ring mit dem großen Mondstein schenken sollte, den er am Tag von Rose’ Verschwinden vom Juwelier abgeholt hatte. Seitdem wartete der Mondstein auf Erlösung in dem schwarzen Samtbeutel, in dem der weiße Gebetsschal für die Synagoge verwahrt wurde - das einzige Versteck, das nach Samys Erfahrungen vor den forschenden Augen und emsigen Händen einer gründlichen Hausfrau sicher war. Der Rücksichtsvolle fand es jedoch ein wenig ungeschickt und äußerst unerzogen, Martha ein teures Geschenk zu machen, solange der Kummer um Rose so sichtbar an ihr fraß. Laut sagte er, und er konnte trotz der Gedanken, die nun auch an ihm nagten, sogar lächeln: »Ich wollt, es wäre endlich morgen. Ich kann deinem gefilten Fisch nicht widerstehen.«
    »Morgen wird es immer schneller, als man denkt. Besonders in unserem Alter. Nicht wahr, mein Miezele?« »Katzen denken nicht übers Alter nach. Deshalb bleiben sie ja auch ihr Leben lang jung. Muss ein schöner Schock für eine Katze sein, jung zu sterben.« »Ach Samy, du machst mir jeden Tag aufs Neue klar, warum ich dich liebe. Ich müsste dir täglich dafür danken.« »Das tust du doch. Und das Schöne ist, dass du es schweigend tust.«
    Es waren auch nur wenige Worte nötig gewesen, um zu klären, dass vorerst am Freitag der gefilte Fisch nicht mehr bei den Procters auf dem Tisch stehen würde, sondern im Hause Bronstein. Dort wurde bereits seit drei Monaten das Sabbatmahl eingenommen. Das schonte die Nerven von allen. Davids ursprüngliche Vermutung, seine Eltern würden sich ausschließlich ihrer Kinder wegen am Freitagabend auf die traditionelle Feierlichkeit des Tages einlassen, war also eines der üblichen Vorurteile gewesen, von denen auch verständnisvolle Eltern nicht verschont werden. Der Sohn war, als ihm seine Fehleinschätzung bewusst wurde, ehrlich und selbstkritisch genug, sich zu schämen. Umso größer war sein Kummer, dass er den väterlichen Vorschlag ablehnen musste, »irgendwann, wenn es Miriam und dir passt, mit uns den Sabbat bei Samy zu feiern«.
    »Es tut mir Leid«, sagte er und stammelte wie einst der kleine David und wurde auch wieder rot vom Hals bis zu den Ohren, »aber ich kann ja Miriam nicht gut sagen, dass sie in einem Haus essen soll, das nicht koscher geführt wird.

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