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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Übrigens geht das bei mir jetzt auch nicht mehr.« »Mir hat es Leid zu tun, David, dass ich so erzdämlich bin. Das hätte ich mir doch denken können. Hab Geduld mit deinem Vater. Als Vater ist er vielleicht ganz brauchbar, aber als Jude taugt er nicht viel.«
    »Vor allem hat ihm niemand je gesagt, dass sein Sohn ihn für den besten Vater der Welt hält.«
    »Doch! Der Sohn, von dem wir gerade reden, war immer
    ein bisschen geschwätzig. Er hat Dinge gesagt, die ein Kind sonst nie sagt.«
    Nachdem Rose nur einen hastig gekritzelten Abschiedsgruß hinterlassen hatte und David unmittelbar darauf ausgezogen war, waren die Eltern dieser eigenwilligen Kinder nicht nur verzweifelt und ohne Orientierung. Sie waren auch dabei, sich selbst besser kennen zu lernen. Vor allem war ihnen aufgegangen, was es im Judentum bedeutet, eine Tradition und mit ihr eine Säule des Lebens wegen einer momentanen Krise aufzugeben. Als sie sich vornahmen, den Sabbat so zu begehen, wie sie es in all den Jahren mit Rose und David getan hatten, erschien es ihnen zunächst nur für das eigene Selbstwertgefühl wichtig, an den Fundamenten festzuhalten. Als sie jedoch einander eingestanden, dass ihre Bindung an die Religion sehr viel stärker war, als sie immer angenommen hatten, waren sie äußerst überrascht und ziemlich verlegen. »Wer weiß, was noch alles kommt«, sagte Emil. »Du wirst sehen, auf seine alten Tage wird dein Mann noch so fromm wie dein Sohn.«
    »Dann gehe ich ins Kloster, das schwöre ich dir. Ein Frommer in der Familie reicht mir für ein ganzes Leben.« »Falsche Adresse, meine Liebe. Die Katholiken haben ein Kloster. Juden sind Individualisten. Bei uns hat jeder Anspruch auf seine eigenen Fesseln.«
    Am Freitagabend quälten die leeren Stühle um den Esstisch die vereinsamten Eltern wie Dornen im Fleisch. Schmerzhaft deutlich waren die Stimmen, die sie hörten, bedrückend klar die Bilder, die das Gedächtnis freigab. Auf diesen Bildern wurde Rose mit jedem Tag schöner und fraulicher, graziler und fröhlicher und so kompromissbereit, wie sie nie gewesen war. David tat sein Bestes, um die
    Pein von Vater und Mutter und vor allem seiner geliebten Großmutter zu lindern. Mindestens einmal in der Woche schloss er in Hampstead die Haustür auf - Liesel hatte darauf bestanden, dass er den Hausschlüssel behielt. Am Freitagabend aber, wenn das Brot und der Wein gesegnet und die Gebete gesprochen wurden, die seit Jahrtausenden von Juden in aller Welt zu Beginn des Sabbats gesprochen werden, saß David neben Rabbi Myers.
    In seinem Elternhaus bemühte man sich um Haltung. Mit nur mäßigem Erfolg. Wenn er im Familienkreis fehlte, mussten seine Eltern gegen das Gefühl ankämpfen, sie hätten versagt und ihn durch ihr zu gleichgültiges Verhältnis zum Glauben zu früh aus dem Haus getrieben. Kam er zu Besuch, erschraken sie jedes Mal von neuem. Ihr achtzehnjähriger Sohn wirkte auf sie wie ein Kind in einem Verkleidungsspiel. Nicht nur weil er einen Ehering trug und nun »meine Frau« mit der gleichen Selbstverständlichkeit sagte wie ein halbes Jahr zuvor noch »mein Kugelschreiber«. David hatte sich einen Vollbart wachsen lassen, der noch rührend schütter wirkte, und er, den die Mutter zu festlichen Gelegenheiten nur mit Flehen und Drohen in ein weißes Hemd bekommen hatte, trug bei jedem Wetter einen schwarzen Anzug aus festem Tuch und einen schwarzen Hut mit breitem Rand. Musste er zurück in seine neue Welt, war der Aufbruch aus seiner alten immer hastig. Alle waren verlegen, machten dumme Witze und genierten sich, dass sie es getan hatten.
    »Der Auftritt der Verkrampften«, analysierte seine Mutter. »Mir wird jedes Mal ein bisschen übel.«
    »Ich hätte eben viel früher üben sollen, Abschied zu nehmen«, bedauerte sein Vater, als er einmal am Fenster stand und beobachtete, wie David die Straße entlanghetzte, »nicht erst wenn mich meine Kinder darauf hinweisen, dass mir bald die Haare und die Zähne ausfallen werden.« »Früher als du kann man gar nicht anfangen, Abschied zu nehmen«, wusste Liesel. »Ich glaube, genau da liegt das Problem. Der erste Abschied, den man dir zugemutet hat, hat dich für immer gezeichnet. Mir geht es ja ähnlich, obwohl ich mit meinen Eltern auswandern durfte. Ich verlor nur meine Wurzeln und mein Vertrauen in die Menschen, aber nicht Vater und Mutter. Und was deine Zähne betrifft, mein Guter - nimm dir ein Beispiel an unserem Samy. Der hat sogar noch seine Backenzähne und geht

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