und das Goldene Dreieck
spürte Mrs. Pollifax, daß sie nicht allein war mit dem Toten in diesem Zimmer, daß noch jemand - ein Lebender - sich hier aufhielt und daß er nahe dem Fenster im Halbdunkel stand. Der Schock, Ruamsak tot vorzufinden, hatte ihre Sinne so geschärft, daß sie das Knistern von Stoff erkannte, als jemand sein Gewicht von einem auf den anderen Fuß verlagerte. Wachsam blickte sie hoch und entdeckte in der Ecke etwas, das nicht ganz mit den Schatten dort verschmolz: Es war eine Spur heller und der Form nach ein Mann.
Sie starrte in die Ecke und stand langsam auf. »Ich weiß, daß sie dort sind«, sagte sie. »Haben Sie ihn getötet?«
Eine Sekunde später bereute sie ihre Unverblümtheit, denn der Mann, der nun aus den Schatten trat, wirkte noch robuster als der Tote, und er sah nicht aus, als wäre es ratsam, sich mit ihm anzulegen. Er war so massiv gebaut wie ein Ringkämpfer und hatte eine lange, zusammengezogene Narbe quer über einem Backenknochen. Durch die Narbe sah er wie ein Bandit aus und mehr wie ein Chinese als ein Thai. Die Hosenbeine hatte er bis zu den Knien hochgerollt, so daß die muskulösen Waden frei waren; Knitterfalten durchzogen sein blaues Hemd, und auf dem Kopf saß ein unvorstellbar schmutziger Leinenhut mit schmaler Krempe und sehr britisch: Ein Hut wie aus My Fair Lady. So, wie er ihn aufgesetzt hatte, erinnerte er sie an den Deckel einer Teekanne; das hätte sie bestimmt als komisch empfunden, wenn der Mann nicht so drohend dreingeschaut hätte.
Und sie war allein mit ihm, nur durch die Leiche am Boden von ihm getrennt. Sie wünschte sich inbrünstig, sie könnte die eben geäußerten Worte zurücknehmen: Sie hingen in der Luft zwischen ihnen - eine Anklage, die sie dem Mann entgegengeschleudert hatte, der zweifellos Ruamsaks Mörder war. Wo blieb bloß Cyrus? Der Mann trat zu dem Toten, blickte zu ihm hinunter, dann beugte er sich über ihn und zog das Messer heraus. Sie schauderte und fragte sich, ob sie mit Karate etwas gegen diesen Mann ausrichten könnte, falls er vorhatte, sie als nächste umzubringen. Da wurde ihr bewußt, daß sie zu gelähmt war, auch nur einen Schrei auszustoßen. Aber er blieb, wo er war, untersuchte das Messer, zog sein Hemd aus der Hose und wischte das Blut daran ab. Sie brachte ein schwaches »Kennen Sie ihn?« zustande.
Er hob den Blick und musterte sie. »Kennen Sie ihn?« Wenigstens sprach er Englisch.
Sie schüttelte den Kopf.
»Warum sind Sie hier?« Er kniff die Augen zusammen.
»Mein Mann und ich...« Was sagte man zu einem Mörder? »... machten ein paar Aufnahmen...« Sie deutete auf die Kamera. »Der Weg sah so malerisch aus und...«
»Ihr Mann?« fragte er barsch. »Wo ist Ihr Mann?« Seine Augen verrieten Schläue, als er sie anblickte. Er mochte einen komischen Hut tragen und wie ein Bandit aussehen, aber er war intelligent, und ihr entging nicht, daß er keine ihrer beiden Fragen beantwortet hatte. »Draußen - irgendwo«, stammelte sie.
Erneut blickte er auf den Toten am Boden zwischen ihnen. »Ich glaube, wir sollten Sie zu Ihrem Mann zurückbringen. Sofort!«
Das hörte sie gern. Sie wollte nichts lieber, als zu Cyrus zurückkehren, doch erst fragte sie tapfer: »Werden Sie die Polizei verständigen?«
Sie war nicht sicher, aber sie glaubte, daß ihn das amüsierte. Er steckte das Mordmesser in seine Tasche und deutete mit dem Kopf zur Tür. »Zeigen Sie mir Ihren Mann!« Sie seufzte, denn sie verstand nicht, wieso er es offenbar so wichtig fand, daß sie ihm ihren Ehemann vorwies, außer er hatte vor, sie umzubringen, wenn er glaubte, daß sie log. Die Situation hatte anscheinend Aspekte, die ihr nicht klar waren, doch wirklich wichtig war im Augenblick nur, raus aus dieser Hütte zu kommen und fort von diesem furchteinflößenden Mann. Sie griff nach ihrer Tasche, schlang sie sich um die Schulter und ging zur Tür.
Der blendende Sonnenschein war wie ein Schlag nach der Dunkelheit in der Hütte. Sie blieb blinzelnd auf der Treppe stehen und rief: »Cyrus?« Vor ihr erstreckte sich der bougainvilleenüberwucherte Zaun, dahinter lag der Privatweg und er war leer. Sie rannte darauf zu, dichtauf gefolgt von ihrem Banditenbegleiter, und eilte zur Straße hoch. Angst um Cyrus begann sich zu regen: Er hatte ihr folgen wollen, aber er war ihr nicht gefolgt! Wo war er?
Neben dem riesigen Tonkrug blieb sie stehen. »Hier habe ich ihn zuletzt gesehen«, erklärte sie dem Mann hinter ihr über die Schulter. »Er hat hier gestanden und sich das da
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