Und das Leben geht doch weiter
damit, die Stimme eines bekümmerten Fischers zu vernehmen, und hatte die Antwort, die für Beruhigung sorgen würde, schon parat: Ja, der Deich hält, Sie können sich darauf verlassen. Ihr könnt euch alle ohne Befürchtung bis morgen früh aufs Ohr legen. Gute Nacht.
Er täuschte sich aber, draußen meldete sich kein um den Deich besorgter Fischer.
»Kann ich rein?« war jemand zu hören.
Detlev Padenberg nahm erstaunt die Pfeife aus dem Mund. Das war nicht die Stimme eines Mannes.
»Zu wem wollen Sie?«
»Zu dir.«
Sein Erstaunen wuchs. Draußen befand sich – daran war nicht zu zweifeln – eine Frau oder ein Mädchen – ein weibliches Wesen jedenfalls – und begehrte Einlaß. Das Wesen duzte ihn. So gut kannte er aber hier droben, nördlich von Flensburg, weit und breit keine Frau. Sollte er etwa eine Unbekannte so sehr entflammt haben, daß sie beschlossen hatte, ihn das wissen zu lassen? Dann hatte die Betreffende aber einiges auf sich genommen. Der Zeitpunkt war keineswegs günstig. Finsternis herrschte, kein Stern stand am Himmel, der Wind wurde von Stunde zu Stunde stärker, man mußte damit rechnen, daß er sich zu einem Sturm auswuchs. Das Meer rumorte jedenfalls schon beträchtlich.
Detlev Padenberg schüttelte den Kopf, schlüpfte in sein Jackett, ging zur Tür, durchquerte stolpernd den engen, unbeleuchteten Flur und öffnete die Haustür. In Umrissen stand eine vermummte Gestalt vor ihm, die keinen Augenblick zögerte, an ihm vorbeizuschlüpfen, um ins schützende Innere seiner Behausung zu gelangen. Bis er die Haustür wieder geschlossen hatte, stand sie schon im hellen Zimmer. Verblüfft über die Selbstverständlichkeit, mit der sie sozusagen ihren kleinen Eroberungszug durchgeführt hatte, folgte er ihr, blieb aber wie angenagelt auf der Schwelle stehen, als er sie erkannte.
Sie hatte sich nach ihm umgedreht. Überflutet vom Schein der Lampe, unter der sie stand, nahm sie ihr Kopftuch ab und gab das prachtvollste Blondhaar frei, dem Detlev Padenberg je begegnet war.
»Du?« brachte er völlig überrascht nur hervor.
»Guten Abend, Detlev.«
»Guten Abend, Carola.«
»Mich hast du wohl nicht erwartet?«
»Nein.«
»Hat dieser gottverlassene Fleck Erde hier überhaupt einen Namen?«
»Ja, Süderhöft. Wie bist du hergekommen?«
»Mit der Bahn nach St. Peter und dann weiter zu Fuß. Es war keine schöne Wanderung.«
»Das glaube ich … Entschuldigung«, unterbrach er sich, »leg doch ab und nimm Platz.«
Seine Erstarrung, derer an der Türschwelle anheimgefallen war, löste sich allmählich, und er half ihr aus dem Mantel.
Krampfhaft überlegte er, was er sagen sollte.
»Kann ich dir etwas anbieten, Carola? Erwarte aber bitte nicht den Service eines Luxushotels.«
»Was hättest du denn anzubieten?«
»Eigentlich gar nichts«, gestand er verlegen. »Ein paar Konserven …«
»Zutrinken, meine ich«, fiel sie ihm ins Wort. »Hunger habe ich keinen.«
Appetit habe sie keinen, hätte sie zutreffender sagen sollen.
»Alkohol oder Tee?« fragte er sie.
»Tee – oder noch lieber, wenn du hast – Kaffee.«
»Nescafe?«
»Ja, gern.«
Während er sich am Ofen zu schaffen machte, um für heißes Wasser zu sorgen, wurde von keinem der beiden viel gesprochen. Sowohl in seinem als auch in ihrem Kopf jagten sich die Gedanken. Sein Inneres war noch aufgewühlter als das ihre, weil ihn ihr Erscheinen völlig unvorbereitet getroffen hatte.
Nur Carola trank Kaffee. Detlev machte sich eine Flasche Bier auf, von der er allerdings wußte, daß sie ihm wieder nicht kühl genug sein würde, da es in der Kate keinen Eisschrank gab.
»Danke«, sagte Carola, als er ihr alles auf den Tisch gestellt hatte: heißes Wasser, Zucker, Büchsenmilch und natürlich löslichen Kaffee.
»Bitte.«
»Wer versorgt dich hier?«
»Das mache ich selbst.«
»Nescafe ist etwas sehr Praktisches.«
»Ja.«
Wann fängt sie denn endlich richtig an, dachte er. Sie ist doch nicht gekommen, um sich mit mir über Nescafe zu unterhalten.
Und ihr gingen ähnliche Gedanken durch den Kopf. Will er nicht bald konkret werden? Er muß sich doch fragen, warum ich gekommen bin.
Carola trank eine zweite Tasse Kaffee.
»Er schmeckt dir wohl«, bemerkte er.
Sie nickte.
»Das freut mich, Carola.«
In Wirklichkeit war sie von dem Gebräu keineswegs entzückt. Sie war schließlich noch viel zu jung, um sich aus Kaffee allzu viel zu machen, schon gar nicht aus pulverisiertem. Tee mochte sie allerdings noch
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