und das Pergament des Todes
weiterzugehen«, flüsterte ich mit einem Blick nach oben. Die Fächer mit den Schriftrollen zogen sich die Wände hinauf, bis sie in ungefähr sechs Metern Höhe an die Decke stießen. »I ch frage mich, wie viele es wohl sind.«
»D u kannst es erfahren, wenn du willst«, flüsterte eine Stimme. Ich drehte mich um und entdeckte direkt hinter mir einen Kurator, der abwartend in der Luft hing. Wie lange war er schon dort?
»W ir haben eine Liste«, flüsterte er und schwebte näher heran. Jetzt, wo die Lichtverhältnisse besser waren, zeichneten sich auf seinem Knochengesicht dunkle Schatten ab. »D u kannst sie lesen, wenn du willst. Leih sie dir einfach aus.«
»N ein, danke«, wehrte ich ab und ging vorsichtig ein paar Schritte zurück.
Der Kurator rührte sich nicht von der Stelle. Er machte auch keinerlei Anstalten, mich anzugreifen, also drehte ich mich um und setzte meinen Weg fort, wobei ich allerdings immer wieder über die Schulter zurückblickte.
Vielleicht fragt ihr euch, wie die Kuratoren behaupten können, jedes Buch zu besitzen, das jemals geschrieben wurde. Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass sie ihre ganz eigenen Mittel und Wege haben, um Bücher aufzuspüren und ihrer Sammlung einzuverleiben. Zum Beispiel haben sie ein– wenn auch brüchiges– Abkommen mit den Bibliothekaren geschlossen, die die Länder des Schweigens kontrollieren.
Allein in den Vereinigten Staaten werden jedes Jahr viele Tausend Bücher veröffentlicht. Die meisten davon sind entweder »l iterarisch«, handeln also von Leuten, die rein gar nichts erleben, oder es sind dumme erfundene Geschichten zu furchtbar langweiligen Themen wie zum Beispiel Diäten.
(Diese ganzen scheinbar nutzlosen Bücher, die in den USA produziert werden, erfüllen allerdings in Wirklichkeit einen bestimmten Zweck. Sie sollen natürlich dafür sorgen, dass die Menschen sich unsicher fühlen, damit die Bibliothekare sie besser unter Kontrolle halten können. Ich bin der Meinung, die effektivste Methode, um sich schlecht zu fühlen, ist, ein Selbsthilfebuch zu lesen. Der zweitschnellste Weg besteht in der Lektüre eines deprimierenden literarischen Werkes, das darauf abzielt, dass man die Menschheit an sich verabscheuen soll.)
Wie auch immer, wichtig ist nur, dass die Bibliothekare jedes Jahr Hunderttausende von Büchern veröffentlichen. Was passiert mit all diesen Büchern? Logisch betrachtet, müssten wir doch von ihnen erschlagen werden. Ertrinken in einem Tsunami aus Texten, verzweifelt nach Luft schnappend, während wir langsam untergehen in einem endlosen Meer aus Geschichten über Mädchen mit Essstörungen.
Die Antwort liegt in der Bibliothek von Alexandria. Die Bibliothekare verschiffen ihre überschüssigen Bücher dorthin und haben den Kuratoren im Gegenzug das Versprechen abgenommen, dass diese nicht in die Länder des Schweigens kommen, um dort selbst nach ihnen zu suchen. Das ist wirklich schade. Immerhin könnten wir von den Kuratoren– da sie ja Skelette sind– sicher eine Menge über das Abnehmen lernen.
Ich wanderte weiter durch die muffigen Gänge der Bibliothek und fühlte mich beim Anblick der massigen Säulen und der Reihen und Reihen und Reihen und Reihen und Reihen und Reihen und Reihen und Reihen und Reihen und Reihen und Reihen und Reihen von Schriften klein und unbedeutend.
Hin und wieder kam ich an anderen Korridoren vorbei, die von dem ersten abzweigten. Sie sahen alle genauso aus wie der, in dem ich mich befand, und bald wurde mir klar, dass ich keine Ahnung hatte, wohin ich eigentlich ging. Ich sah über die Schulter zurück und musste enttäuscht feststellen, dass es in dieser Bibliothek überall staubig war, nur auf dem Boden nicht. Es gab also keine Fußspuren, denen ich folgen könnte, um den Weg zurück zu finden, und ich hatte auch keine Brotkrumen, mit denen ich eine Spur hätte legen können. Kurz überlegte ich, ob ich stattdessen die Flusen aus meinem Bauchnabel dafür hernehmen sollte, kam aber dann zu dem Ergebnis, dass das nicht nur äußerst unfein, sondern auch die reinste Verschwendung gewesen wäre. (Habt ihr auch nur die geringste Ahnung, wie wertvoll das Zeug ist?)
Außerdem würde es sowieso nicht besonders viel Sinn machen, eine Spur zu legen. Ich wusste nicht, wohin ich ging, aber ich wusste genauso wenig, wo ich eigentlich losgegangen war. Ich seufzte. »E s gibt nicht zufällig irgendwo eine Übersichtskarte von diesem Ort?«, fragte ich und drehte mich zu dem Kurator um, der in
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