Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und dennoch ist es Liebe

Und dennoch ist es Liebe

Titel: Und dennoch ist es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
Vom Netzwerk:
den Morgen, als er die ganze Welt auf seinen Schultern getragen hatte, den Tag seines College-Abschlusses. Nicholas schüttelte den Kopf, um die Emotionen zu verdrängen, die ihn zu überwältigen drohten, und betrat das riesige Foyer.
    Der schwarze Marmorfußboden spiegelte sein Gesicht perfekt, und die Angst in seinen Augen fand ihr Abbild in den gerahmten Fotos seiner Mutter an der Wand. Nicholas machte zwei Schritte, die wie Donner in seinen Ohren hallten. Er war sicher, dass nun jeder wissen würde, dass er hier war. Doch niemand kam. Nicholas warf seine Jacke auf einen antiken Stuhl und ging den Flur hinunter zur Dunkelkammer seiner Mutter.
    Astrid Prescott entwickelte gerade Bilder von den Moab, einem Nomadenvolk, das zwischen Bergen aus Sand lebte, doch das Rot wollte ihr nicht gelingen. Sie sah das Rubinrot des Staubs noch deutlich vor sich, doch egal, wie viel Abzüge sie auch machte, sie traf nie den richtigen Ton. Der Staub wirbelte einfach nicht wütend genug um die Menschen herum, um sie in ihren Albträumen gefangen zu halten. Astrid legte die letzten Abzüge, die sie gemacht hatte, beiseite und kniff sich in die Nase. Vielleicht würde sie es morgen noch einmal versuchen. Sie nahm mehrere Kontaktabzüge von der Leine, und dann drehte sie sich um und sah ihren Sohn.
    »Nicholas«, flüsterte seine Mutter.
    Nicholas rührte sich nicht. Seine Mutter sah älter und zerbrechlicher aus, als er sie in Erinnerung hatte. Sie hatte sich das Haar im Nacken zusammengebunden, und die Venen auf ihren geballten Fäusten traten deutlich hervor, sodass ihre Hände wie eine Landkarte aussahen. »Ihr habt einen Enkel«, sagte Nicholas. Seine Worte klangen angespannt, abgehackt, und seine eigene Stimme hallte fremd in seinen Ohren wider. »Ich dachte, das solltet ihr wissen.«
    Nicholas wandte sich zum Gehen, doch Astrid Prescott stürmte vor und warf die Abzüge der Wüstenbilder einfach auf den Boden. Die Berührung seiner Mutter hielt Nicholas zurück. Ihre mit Fixierer überzogenen Finger hinterließen Spuren auf seinem Arm. »Bitte, bleib«, sagte sie. »Ich habe so einen Nachholbedarf. Ich will dich ansehen. Und du brauchst sicher viel für das Baby. Ich würde ihn gerne sehen – oder sie? Und Paige auch.«
    Nicholas betrachtete seine Mutter mit der kalten Reserviertheit, die sie ihm in ihrem Stolz anerzogen hatte. Dann holte er einen Schnappschuss von Max aus der Tasche und warf ihn auf den Tisch und auf das Bild eines Mannes mit Turban und uraltem, offenem Gesicht. »Es ist sicher nicht so gut wie deine«, sagte Nicholas und starrte auf die staunenden blauen Augen seines Sohnes. Als sie das Bild gemacht hatten, hatte Paige hinter Nicholas gestanden. Sie hatte sich eine weiße Socke über die Hand gezogen und Augen und eine lange, gespaltene Zunge darauf gemalt. Sie hatte die Socke bewegt und dabei gezischt und gerasselt wie eine Klapperschlange und so getan, als wolle sie Nicholas ins Ohr beißen. Irgendwann hatte Max dann tatsächlich gelächelt.
    Nicholas zog sich von seiner Mutter zurück. Er wusste, dass er ihre Berührung nicht viel länger hätte ertragen können, ohne nachzugeben. Irgendwann hätte er nach seiner Mutter gegriffen, und indem er die Distanz zwischen ihnen aufgehoben hätte, wäre all der Groll wie weggefegt gewesen, der ohnehin schon zu verblassen schien. Nicholas atmete tief durch und straffte die Schultern. »An einem gewissen Punkt warst du nicht bereit, Teil meiner Familie zu sein.« Er wich einen Schritt zurück und trat dabei auf den Sonnenuntergang im Land der Moab. »Nun, jetzt bin ich nicht bereit dazu.« Und er drehte sich um und verschwand durch den schwarzen Vorhang der Dunkelkammer. Kurz zeichnete sich seine Gestalt vor dem Licht draußen ab. Dann war auch dieses Bild verschwunden – wie ein Geist.
*
    »Ich bin heute hingegangen.«
    »Ich weiß.«
    »Woher weißt du das?«
    »Du hast keine drei Worte mit mir gesprochen, seit du nach Hause gekommen bist. Du bist eine Million Meilen weit weg.«
    »Eigentlich waren es nur etwa zehn Meilen. Brookline ist nicht so weit weg. Aber du bist ein Mädchen aus Chicago. Was weißt du schon?«
    »Sehr komisch, Nicholas. Und? Was haben sie gesagt?«
    » Sie. Singular. Ich wäre nicht gefahren, wenn mein Vater zu Hause gewesen wäre. Ich bin heute während der Mittagspause dort gewesen.«
    »Ich wusste gar nicht, dass du Mittagspausen hast …«
    »Paige, fang nicht wieder von vorne an.«
    »Und? Was hat sie gesagt?«
    »Ich erinnere mich

Weitere Kostenlose Bücher