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Und dennoch ist es Liebe

Und dennoch ist es Liebe

Titel: Und dennoch ist es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Aber ich werde wieder nach Hause kommen, und dann werden wir da weitermachen, wo wir aufgehört haben. Ich werde dich nicht vergessen. Ich liebe dich. Doch was ich schließlich zu Nicholas sagte, war: »Ich bin bald wieder zurück.«
    Nicholas’ Stimme klang leise und heiser. »Bemüh dich nicht«, sagte er und knallte den Hörer auf.
*
    Ich fuhr die ganze Nacht und den ganzen Tag hindurch, und um vier Uhr nachmittags erreichte ich die Stadtautobahn von Chicago. Ich wusste, dass mein Vater in den nächsten Stunden noch nicht daheim sein würde, und deshalb fuhr ich zu der alten Kunstbedarfshandlung, zu der ich früher immer gegangen war. Es war ein seltsames Gefühl, so durch die Stadt zu fahren. Als ich zum letzten Mal hier gewesen war, hatte ich kein Auto gehabt, und ich war immer in Begleitung gewesen. An einer roten Ampel dachte ich an Jake – die Linien seines Gesichts und den Rhythmus seiner Atmung. Einst hatte ich nur an ihn denken müssen, und er war erschienen. Vorsichtig fuhr ich wieder los, als die Ampel auf Grün sprang, und fast rechnete ich damit, dass Jake an der nächsten Straßenecke auftauchen würde, doch das geschah nicht. Jake, der gewusst hatte, dass es nie mehr so wie früher werden würde, hatte das Band der Telepathie schon vor Jahren durchtrennt.
    Der Besitzer der Kunstbedarfshandlung war Inder. Er hatte glatte braune Haut wie eine Zwiebel, und er erkannte mich sofort. »Missy O’Toole«, sagte er in melodischem Tonfall. »Was kann ich für Sie tun?« Er verschränkte die Hände vor der Brust, als hätte ich seinen Laden erst vor wenigen Tagen zum letzten Mal betreten. Zuerst antwortete ich ihm nicht. Ich ging zu den geschnitzten Statuen von Vishnu und Ganesh und strich mit den Fingern über den kühlen, glatten Elefantenkopf. »Ich brauche ein paar Conté-Stifte«, flüsterte ich, »einen Zeichenblock und Zeichenkohle.« Die Worte kamen mir so leicht über die Lippen, dass ich genauso gut wieder siebzehn hätte sein können.
    Der Ladenbesitzer brachte mir, wonach ich verlangt hatte, und zeigte mir die Conté-Stifte, damit ich sie mir anschauen konnte. Ehrfürchtig, als wäre ich bei der Kommunion, nahm ich sie in die Hand. Was, wenn ich es nicht mehr konnte? Es war schon Jahre her, seit ich das letzte Mal etwas Erwähnenswertes gezeichnet hatte.
    »Sagen Sie«, ich blickte den Mann an, »ob Sie sich vielleicht von mir zeichnen lassen würden.«
    Erfreut setzte der Mann sich zwischen die Hindugottheiten des Lebens und des Glücks. »Ich denke«, plapperte der Mann, »es gibt keinen besseren Platz für mich, um Modell zu sitzen. Wenn das Ihnen gefällt, Missy … Das ist wirklich ein guter Ort.«
    Ich schluckte und griff zum Block. Mit zögernden Strichen zeichnete ich das ovale Gesicht des Mannes und das Glitzern in seinen Augen. Für die Struktur benutzte ich einen weißen Conté-Stift und schuf damit ein feines Netz von Falten an Schläfen und Kinn. Ich kartographierte das Alter seines Lächelns und den leichten Anflug von Stolz. Als ich fertig war, trat ich einen Schritt von dem Block zurück und betrachtete das Bild kritisch. Die Ähnlichkeit war zwar nicht ganz gegeben, aber für einen ersten Versuch war es nicht schlecht. Ich schaute in den Hintergrund und die Schatten um das Gesicht des Mannes. Ich erwartete, eines meiner versteckten Bilder zu sehen, doch da war nichts. Vielleicht hatte ich mein anderes Talent ja verloren, und womöglich war das ja gar nicht mal so schlecht.
    »Missy, sind Sie fertig? Sie wollen so ein Werk doch sicher nicht für sich allein behalten.« Der Mann kam schnell zu mir herüber und strahlte, als er meine Zeichnung sah. »Das lassen Sie mir doch sicher hier, oder?«
    Ich nickte. »Sie können es gerne haben. Danke.«
    Ich gab ihm die Zeichnung und einen Zwanziger für die Materialien, doch den wollte er nicht. »Sie haben mir ein Geschenk gemacht«, sagte er. »Da will ich Ihnen auch eins machen.«
    Ich fuhr zum See und stellte den Wagen im Parkverbot ab. Dann ging ich mit meinem Block, den Stiften und der Kohle zum Ufer. Es war ein kühler Tag, und deshalb waren nicht viele Leute im Wasser, nur ein paar Kinder mit Schwimmflügeln, deren Mütter sie mit Argusaugen vom Ufer aus beobachteten, damit sie nicht davongetrieben wurden. Ich saß am Uferrand und versuchte, ein Bild von Max heraufzubeschwören, das deutlich genug war, um ihn zeichnen zu können. Als mir das nicht gelang, war ich entsetzt. Egal wie sehr ich mich auch bemühte, ich konnte nicht

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