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Und dennoch ist es Liebe

Und dennoch ist es Liebe

Titel: Und dennoch ist es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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drückte das Baby an sich. »Geh du«, sagte er leise. »Ich werde mich um Max kümmern.«
    Seine Worte und der unterschwellige Vorwurf darin trafen mich wie ein Schlag ins Gesicht. Ich stand auf, ging ins Schlafzimmer und sammelte Nicholas’ Hemden ein. Dann nahm ich meine Handtasche und meine Sonnenbrille vom Küchentisch und ging wieder zum Wohnzimmer, blieb aber an der Tür stehen. Nicholas und Max schauten gleichzeitig auf. Sie saßen auf der Couch und wirkten, als wären sie aus demselben Marmorblock gemeißelt. »Ich habe das nicht gewollt«, flüsterte ich und wandte mich ab.
    Am Geldautomaten angekommen, weinte ich so heftig, dass ich erst bemerkte, dass ich den falschen Knopf gedrückt hatte, als tausend Dollar herauskamen anstatt der hundert, die ich für den Einkauf und Nicholas’ Wäsche brauchte. Ich zahlte das Geld nicht wieder ein. Stattdessen raste ich aus der Feuerwehreinfahrt, in der ich verbotenerweise geparkt hatte, ließ die Fenster herunter und fuhr auf den nächstgelegenen Highway. Es fühlte sich gut an, das Rauschen des Windes zu hören und ihn in meinen Haaren zu spüren. Ich konnte endlich wieder atmen, und meine Kopfschmerzen verschwanden. Vielleicht hatte ich ja tatsächlich nur ein wenig Zeit für mich allein gebraucht, dachte ich. Vielleicht musste ich einfach mal weg von hier.
    Am Horizont erschien die flackernde Reklametafel des Supermarkts. Und mir kam der Gedanke, dass Nicholas recht hatte, wenn er an mir zweifelte und Max so weit wie möglich von mir fernhalten wollte. Ich saß im Auto und dachte über meine neugewonnene Freiheit nach, während ich noch wenige Stunden zuvor zugesehen hatte, wie mein Kind blutete, weil ich nicht aufgepasst hatte.
    Etwas konnte nicht mit mir stimmen. Tief in mir musste etwas nicht stimmen, dass ich so schlecht aufgepasst hatte und Max so schlimm gestürzt war. Es musste einen Grund dafür geben, dass ich solch eine unfähige Mutter war. Und vielleicht hatte meine Mutter mich ja aus dem gleichen Grund verlassen: weil sie Angst gehabt hatte, noch mehr falsch zu machen. Es war durchaus möglich, dass Max dort, wo er jetzt war, weit besser aufgehoben war als bei mir: in den starken Armen seines Vaters. Es war durchaus möglich, dass Max ohne Mutter ein besseres Leben führen würde.
    Aber eines stimmte in jedem Fall: In meinem jetzigen Zustand war ich weder gut für Max noch für Nicholas.
    Als ich einfach an der Ausfahrt vorbeifuhr, nahm ein Plan in meinem Kopf Gestalt an. Ich würde nicht lange wegbleiben. Nur bis ich eine ganze Nacht würde durchgeschlafen haben können. Nur bis ich mich als Mutter gut genug fühlte. Nur bis mir nicht mehr nach ein paar Zeilen die Ideen ausgingen, wenn ich eine Liste der Dinge aufstellen wollte, die ich konnte. Wenn ich wieder zurückkam, würde ich auf alles eine Antwort haben. Ich würde ein ganz neuer Mensch sein. Ich würde Nicholas in ein paar Stunden anrufen und ihm meine Idee erklären, und er würde mir zustimmen und mit seiner ruhigen Stimme sagen: »Paige, ich glaube, das ist genau, was du brauchst.«
    Ich begann zu lachen. Es war alles so einfach. Ich konnte einfach immer weiter und weiter fahren und so tun, als hätte ich weder Kind noch Mann. Ich konnte immer weiterfahren und nie wieder zurückblicken. Aber natürlich würde ich zurückkehren, sobald ich mein Leben wieder in den Griff bekommen hatte. Doch im Augenblick hatte ich mir diese Freiheit erst einmal verdient. Ich würde mir die Zeit wieder zurückholen, um die ich betrogen worden war.
    Ich fuhr schneller, als ich je in meinem Leben gefahren war, fuhr mir mit den Fingern durchs Haar und grinste, bis meine Lippen im Wind aufrissen. Meine Wangen wurden rot, und meine Augen brannten von der vorbeirasenden Luft. Eins nach dem anderen warf ich Nicholas’ Hemden aus dem Fenster und hinterließ so eine Spur aus Gelb, Pink, Weiß und Blau auf dem Highway, wie eine bunte Perlenkette.

T EIL II
    Wachstum
    Sommer 1993

K APITEL 19
    P AIGE
    Die dicken Satinvorhänge in Rubys Haus des Schicksals sperrten die heiße Mittagssonne aus. Ruby selbst, ein Berg von kupferfarbenem Fleisch, saß mir gegenüber und hielt meine Hände. Ihre Wangen wurden rot, und ihr Doppelkinn zitterte. Plötzlich öffnete sie die dicken Augenlider und enthüllte erstaunlich grüne Augen, die vor wenigen Minuten noch braun gewesen waren. »Mädchen«, sagte Ruby, »deine Zukunft ist deine Vergangenheit.«
    Ich war den ganzen Tag gefahren, immer weiter weg von Cambridge, und

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