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Und dennoch ist es Liebe

Und dennoch ist es Liebe

Titel: Und dennoch ist es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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schließlich in Pennsylvania gelandet – im Land der Amish. Ich hatte geparkt und war eine Zeit lang einfach nur im Wagen sitzen geblieben und hatte die polierten schwarzen Kutschen und die Mädchen mit ihren strahlend weißen Hauben beobachtet. Irgendetwas sagte mir, ich müsse trotz des brennenden Hungergefühls weiterfahren. Ich hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen, und jetzt war es fast acht Uhr abends. Also fuhr ich weiter Richtung Westen, und am Rande von Lancaster entdeckte ich Ruby. Vor ihrem kleinen Reihenhaus stand ein großes Schild in Form einer offenen Hand, die von glitzernden Sternen und Monden bedeckt war. RUBYS HAUS DES SCHICKSALS stand auf dem Schild. HIER FINDEN SIE ANTWORTEN AUF IHRE FRAGEN.
    Ich war zwar nicht sicher, was meine Fragen waren, doch das schien nicht wichtig zu sein. Ich glaubte nicht an Astrologie, doch auch das war ohne Bedeutung. Ruby öffnete die Tür, als hätte sie mich erwartet. Ich war verwirrt. Was machte eine schwarze Frau im Land der Amish, und noch dazu eine Wahrsagerin? »Du wärst erstaunt«, sagte sie, als hätte ich laut gesprochen. »Es kommen hier sehr viele Leute vorbei.«
    Ruby schaute mich mit ihren grünen Augen unverwandt an. Ich war den ganzen Tag über ziellos herumgefahren, doch plötzlich wusste ich, wohin ich unterwegs war. »Fahre ich nach Chicago?«, fragte ich leise, als suche ich Bestätigung, und Ruby grinste.
    Ich versuchte, mich aus ihrem Griff zu lösen, doch sie hielt mich fest. Dann rieb sie mit dem Daumen über meinen Handteller und sagte irgendetwas in einer Sprache, die ich nicht verstand. »Du wirst sie finden«, sagte sie dann, »aber sie ist nicht, wofür du sie hältst.«
    »Wer?«, fragte ich, obwohl ich ganz genau wusste, dass sie von meiner Mutter sprach.
    »Manchmal«, sagte sie, »überspringt das böse Blut eine Generation.«
    Ich wartete darauf, dass sie das erklärte, doch Ruby ließ meine Hand los und räusperte sich. »Das macht dann fünfundzwanzig Dollar«, sagte sie, und ich kramte in meiner Handtasche herum. Ruby führte mich hinaus, und ich öffnete die schwere, heiße Wagentür. »Und du musst ihn auch anrufen«, sagte sie, und als ich mich zu ihr umdrehte, war sie verschwunden.
*
    »Nicholas?« Ich öffnete den Kragen meiner Bluse und strich über die weiche Seide von Astrids Schal. Es war glühend heiß in der Telefonzelle.
    »Mein Gott, Paige. Bist du verletzt? Ich habe im Supermarkt angerufen – in sechs davon, um genau zu sein. Ich wusste nicht, wo du hingefahren warst, und dann habe ich die Tankstellen in der Nähe abgeklappert. Hattest du einen Unfall?«
    »Nicht wirklich«, antwortete ich und hörte, wie Nicholas zischend die Luft einsog. »Wie geht es dem Baby?«, fragte ich und spürte, wie mir die Tränen im Hals brannten. Es war seltsam: Fast drei Monate lang hatte ich mir ständig gewünscht, von Max wegzukommen, und jetzt dachte ich nur noch an ihn. Ich hatte ihn stets im Hinterkopf. Sein Bild verschleierte meinen Blick, und seine kleinen Händchen griffen nach mir. Ich vermisste ihn tatsächlich.
    »Dem Baby geht es gut. Wo bist du? Und wann kommst du nach Hause?«
    Ich atmete tief durch. »Ich bin in Lancaster, Pennsylvania.«
    »Du bist wo? « Im Hintergrund begann Max zu schreien. Und ich hörte, wie die Schreie immer lauter wurden, als Nicholas das Kind auf die Arme nahm.
    »Ich war auf dem Weg zu Stop & Shop, und irgendwie bin ich dann einfach weitergefahren. Ich brauche einfach nur ein wenig Zeit …«
    »Weißt du was, Paige? Zeit braucht auch der Rest der freien Welt und bekommt ihn nicht. Aber wir laufen nicht einfach weg!« Nicholas brüllte, und ich musste den Hörer vom Ohr weghalten. »Nur damit ich das richtig verstehe …«, sagte er. »Du bist absichtlich weggelaufen?«
    »Ich bin nicht weggelaufen«, erklärte ich hartnäckig. »Ich komme wieder zurück.«
    »Und wann?«, verlangte Nicholas zu wissen. »Ich habe ein Leben, weißt du? Und ich habe einen Job.«
    Ich schloss die Augen und lehnte den Kopf gegen das Glas der Telefonzelle. »Ich habe auch ein Leben.«
    Nicholas erwiderte nichts darauf, und einen Augenblick lang glaubte ich, er habe aufgelegt; doch dann hörte ich Max im Hintergrund plappern. »Dein Leben«, sagte Nicholas, »ist hier. Nicht in Lancaster, Pennsylvania.«
    Was ich ihm sagen wollte, war: Ich bin noch nicht dazu bereit, Mutter zu sein. Ich kann noch nicht einmal deine Frau sein … nicht bevor ich nicht die Lücken in meinem eigenen Leben gefüllt habe.

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