Und dennoch ist es Liebe
Jungfrau Maria, die ich als Maikönigin bekränzt hatte.
Die Mutter Christi. Es gibt nicht viele gesegnete Frauen im Katholizismus, also war sie als Kind mein Idol gewesen. Ich habe immer zu ihr gebetet. Und wie jedes andere kleine, katholische Mädchen auch, war ich fest davon überzeugt, wenn ich die restlichen Jahre meiner Kindheit brav war, würde ich so werden wie sie. An Halloween hatte ich mich einmal als Maria verkleidet. Ich hatte einen blauen Mantel und ein schweres Holzkreuz getragen, doch niemand hatte erraten, was ich darstellen wollte. Ich habe mir Maria immer als sehr friedvoll und sehr schön vorgestellt. Immerhin hatte Gott sie auserwählt, um seinen Sohn zu gebären. Aber der eigentliche Grund, warum ich sie so gemocht hatte, war ein anderer gewesen. Ihr Platz im Himmel war ihr garantiert, nur weil sie jemand ganz Besonderem das Leben geschenkt hatte. Und manchmal habe ich sie mir von Jesus geborgt und so getan, als würde sie abends auf meiner Bettkante sitzen und mich fragen, was ich tagsüber so in der Schule gemacht hatte.
Ich erinnerte mich daran, dass ich in Sozialkunde im fünften Schuljahr einmal gelernt hatte, dass Affenbabys sich lieber an Stoffpuppen als an solche aus härterem Material klammerten, wenn man ihnen die Wahl ließ. Und im Wartezimmer eines Arztes hatte ich einmal von Coyoten gelesen, die heulen, wenn sie ihre Welpen verlieren, damit die Kleinen anhand des Signals wieder nach Hause finden. Ich fragte mich, ob Max wohl auch Sicherheit in meiner Stimme fand. Und ich fragte mich, ob ich nach all den Jahren die meiner Mutter noch erkennen würde.
Aus dem Augenwinkel heraus sah ich einen mir bekannten Priester auf den Altar zugehen. Ich wollte nicht erkannt und womöglich zur Beichte gedrängt werden. Also senkte ich den Kopf und huschte an ihm vorbei. Ein Zittern fuhr durch meine Schultern, als ich die Kraft seines Glaubens spürte.
Ich fuhr von Saint Christopher zu dem Ort, von dem ich wusste, dass ich ihn besuchen musste, bevor ich aufbrach, um meine Mutter zu suchen. Schon beim Näherkommen sah ich ihn aus der Ferne. Jake gab gerade einem Schlipsträger die Kreditkarte zurück und achtete dabei sorgfältig darauf, den gestriegelten Kunden nicht mit seiner ölverschmierten Hand zu berühren. Der Mann fuhr in seinem Fiat weg und machte einen Platz für mich frei.
Jake rührte sich nicht, als ich mit meinem Wagen neben der Zapfsäule hielt und ausstieg. »Hallo«, sagte ich. Er ballte die Faust und entspannte sie wieder. Er trug einen Ehering, und das entfachte ein Brennen in meinem Bauch, obwohl ich selbst doch auch einen Ring trug. Für mich selbst fand ich es ganz normal, dass das Leben weitergegangen war, doch aus irgendeinem Grund hatte ich erwartet, dass Jake noch genauso sein würde wie früher.
Ich schluckte und setzte mein strahlendstes Lächeln auf. »Nun«, sagte ich, »wie ich sehe, bist du überwältigt, mich zu sehen.«
Und dann sprach Jake, und seine Stimme klang noch genauso melodisch, wie ich sie in Erinnerung hatte. »Ich wusste nicht, dass du wieder zurück bist«, sagte er.
»Ich wusste auch nicht, dass ich kommen würde.« Ich trat einen Schritt von ihm zurück und schirmte mit der Hand meine Augen vor der Sonne ab. Die Fassade der Werkstatt war frisch gestrichen, und auf einem neuen Schild stand: ›Jake Flanagan, Besitzer‹. Ich drehte mich wieder zu Jake um.
»Er ist gestorben«, erklärte Jake leise, »vor drei Jahren.«
Die Luft zwischen uns war geladen, doch ich blieb auf Abstand. »Das tut mir leid«, sagte ich. »Das hat mir niemand erzählt.«
Jake schaute auf meinen Wagen, der von der langen Fahrt verstaubt war. »Wie viel willst du?«, fragte er und griff nach dem Zapfschlauch.
Ich starrte ihn verständnislos an. Er öffnete meine Tankklappe. »Oh, der Wagen«, sagte ich. »Einmal volltanken, bitte.«
Jake nickte und startete die Pumpe. Er lehnte sich gegen die heiße Metalltür, und ich betrachtete seine starken Hände. Wagenschmiere hatte sich in den Rissen auf seinen Händen festgesetzt – so wie immer. »Was machst du jetzt so?«, fragte er. »Zeichnest du immer noch?«
Ich senkte den Kopf und lächelte. »Ich bin Entfesselungskünstlerin«, antwortete ich.
»Wie Houdini?«
»Ja«, sagte ich, »nur waren die Fesseln stärker.«
Jake schaute mich nicht an, als die Pumpe sich automatisch abschaltete. Er streckte die Hand aus, und ich gab ihm meine Kreditkarte. Ich hatte das vertraute Knistern erwartet, das auch früher immer
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