Und dennoch ist es Liebe
Das würde ich mir an deiner Stelle zweimal überlegen.«
Und in genau diesem Augenblick kommt Nicholas ins Speisezimmer. Er trägt Max auf dem Arm. »Wo zum Teufel steckt ihr alle?«, verlangt er zu wissen. »Ich bin spät dran.«
Er setzt Max in den Hochstuhl neben Robert und schaut mich demonstrativ nicht an. Astrid kommt mit einem Tablett voll Toast, Obst und Bagel herein. »Nicholas!«, ruft sie, als hätte es den gestrigen Abend nie gegeben. »Bleibst du zum Frühstück?«
Nicholas funkelt mich an. »Ihr habt doch schon Gesellschaft«, sagt er.
Ich stehe auf. Max schlägt mit einem Silberlöffel auf Roberts Teller, er hat Nicholas’ aristokratisches Gesicht, aber ganz eindeutig meine Augen. Das sieht man an ihrer Rastlosigkeit. Ständig schaut er zu dem einen Ort, den er nicht sehen kann. Er wird einmal ein Kämpfer sein.
Max sieht mich und lächelt, und das lässt meinen ganzen Körper glühen. »Ich wollte gerade los«, sage ich. Kurz schaue ich zu Robert hinüber, gehe hinaus und lasse meine Reisetasche stehen.
*
Der Aufenthaltsraum der ehrenamtlichen Pfleger im Mass General ist kaum mehr als eine kleine Kammer hinter den Wartezimmern der Ambulanz. Während ich auf Harriet Miles warte, die Sekretärin, die gerade ein Bewerbungsformular für mich herausholt, schaue ich über ihre Schulter hinweg in den Flur und warte darauf, einen Blick auf Nicholas zu erhaschen.
Ich will das nicht tun, aber mir bleibt keine andere Wahl. Wenn ich will, dass Nicholas seine Meinung noch einmal ändert, was die Scheidung betrifft, dann muss ich ihm zeigen, was er verpasst. Und das kann ich nicht, wenn ich ihn nur per Zufall oder im Vorbeigehen bei seinen Eltern treffe. Also muss ich all meine Zeit dort verbringen, wo er sie auch verbringt: im Krankenhaus. Unglücklicherweise bin ich für die meisten Stellen nicht qualifiziert, die mich mit ihm zusammenbringen würden. Deshalb habe ich mich selbst davon überzeugt, dass ich schon immer ehrenamtlich tätig sein wollte, dass ich nur bis jetzt nie die Zeit dazu hatte. Dabei weiß ich natürlich, dass das nicht stimmt. Ich hasse den Anblick von Blut, und ich mag die antiseptische, kranke Wolke nicht, die man immer in Krankenhausfluren riecht. Wenn ich eine andere Idee hätte, wie ich Nicholas zu Gesicht bekommen könnte, wäre ich nicht hier.
Harriet Miles ist ungefähr einen Meter fünfundzwanzig groß und fast genauso breit. Sie muss auf einen Hocker steigen, um die oberste Schublade des Aktenschranks zu erreichen. »Wir haben nicht so viele erwachsene Freiwillige, wie wir gerne hätten. Und die meisten Teenager bleiben nur ein Jahr hier, um ihre College-Bewerbung aufzupeppen.« Sie schließt die Augen, steckt die Hand in einen Stapel Papier und zieht blind das richtige heraus. »Aha«, sagt sie. »Gewonnen.«
Sie setzt sich wieder auf ihren Stuhl, von dem ich schwören könnte, dass sie ein Kissen daraufgelegt hat, um größer zu wirken. Doch natürlich beuge ich mich nicht vor und schaue nach. »So, Paige … Haben Sie irgendeine medizinische Ausbildung, oder haben Sie schon einmal ehrenamtlich in einem anderen Krankenhaus gearbeitet?«
»Nein«, antworte ich und hoffe, das hält sie nicht davon ab, mich anzuheuern.
»Das ist kein Problem«, sagt Harriet dann auch. »Sie werden einen Orientierungskurs machen und können dann gleich mit der Arbeit beginnen …«
»N … Nein«, stammele ich. »Ich muss heute anfangen.« Als Harriet mich daraufhin verstört anschaut, setze ich mich und balle die Fäuste unter dem Tisch. Vorsichtig , denke ich. Sag, was sie hören will. »Ich meine, ich will heute anfangen. Ich werde alles tun. Es muss nicht unbedingt mit Medizin zu tun haben.«
Harriet leckt über die Bleistiftspitze und beginnt, das Formular auszufüllen. Sie blinzelt nicht, als ich ihr meinen Namen nenne, aber ich nehme an, es gibt viele Prescotts in Boston. Ich gebe Roberts und Astrids Adresse an, und einfach nur so nenne ich ihr ein falsches Geburtsdatum und mache mich drei Jahre älter, als ich bin. Ich sage ihr, ich könne sechs Tage die Woche arbeiten, und sie schaut mich an, als wäre ich eine Heilige.
»Ich kann Sie am Empfang einsetzen«, sagt sie und schaut stirnrunzelnd zu dem Plan an der Wand. »Sie werden zwar keinen Papierkram machen können, aber Sie können die Patienten in Rollstühlen in ihre Zimmer fahren.« Sie tippt mit dem Bleistift auf den Plan. »Oder Sie können mit dem Bücherwagen herumfahren«, schlägt sie vor, »von einem Krankenzimmer
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