Und dennoch ist es Liebe
Karaoke auf einer Bowlingbahn singt. Das hat er meines Wissens zwar nie gemacht, aber es würde ihm guttun. »Was für ein Talent«, bemerkt Elliot und schaut zwischen den beiden Bildern hin und her. »Sie lässt Sie fast so menschlich aussehen wie der Rest von uns, Nicholas.«
Nicholas murmelt etwas vor sich hin und dreht den Schlüssel in der Tür. »Paige«, sagt Elliot Saget zu mir, »die PR-Chefin unseres Krankenhauses würde gerne mit Ihnen über Ihre Arbeit sprechen. Ihr Name ist Nancy Bianna, und Sie hat mich gebeten, Sie zu bitten, mal vorbeizukommen, wenn Sie Zeit haben.« Dann lächelt er, und ich weiß sofort, dass ich ihm vertrauen kann. »Nicholas«, sagt er durch die inzwischen offene Tür hindurch. Er nickt und geht dann wieder.
Nicholas beugt sich vor und versucht, seine Zehenspitzen mit den Fingern zu berühren. Nach einem langen, harten Tag habe ich ihn das auch früher schon tun sehen. Als er sich wieder aufrichtet und sieht, dass ich noch immer da bin, verzieht er das Gesicht. Er geht zur Tür und reißt die beiden Bilder ab, die ich gezeichnet habe, zerknüllt sie und wirft sie in den Müll.
»Du solltest das nicht tun«, sage ich wütend. Die Bilder – so einfach sie auch sein mögen – sind mein Werk. Und ich hasse es, zusehen zu müssen, wie mein Werk zerstört wird. »Wenn du die von dir nicht willst, okay. Aber vielleicht hätte Mr. Olsen sein Porträt ja gern gesehen.«
Nicholas’ Blick verdunkelt sich, und seine Finger verkrampfen sich um den Türknauf. »Das ist keine Gartenparty, Paige. Mr. Olsen ist vor zwanzig Minuten auf dem Operationstisch gestorben. Vielleicht kannst du mich jetzt ja mal allein lassen«, sagt er ruhig.
*
Es dauert vierzig Minuten bis zu den Prescotts, und als ich da bin, zittere ich immer noch. Ich ziehe meine Jacke aus und lasse mich gegen die Kommode fallen, deren Kante mir in den Rücken sticht. Ich zucke zusammen, richte mich wieder auf und starre mich selbst in einem antiken Spiegel an. Die letzte Woche habe ich mich ständig unwohl gefühlt, egal wo ich war. Und tief in mir weiß ich, dass das nicht nur mit den scharfen Kanten der Möbel zu tun hat oder mit sonst einem Zierrat. Der Grund ist, dass ich mich weder in dem kalten Krankenhaus noch im eleganten Wohnsitz der Prescotts heimisch fühle.
Nicholas hat recht. Ich verstehe sein Leben nicht. Ich kenne die Dinge nicht, die alle anderen als selbstverständlich betrachten. Ich kann zum Beispiel nicht die Laune eines Arztes nach der Operation deuten, und ich weiß auch nicht, auf welche Seite ich mich lehnen muss, wenn Imelda nach dem Essen das Geschirr abräumt. Ich zerreiße mich förmlich, um Teil einer Welt zu sein, in der ich immer zwei Schritte hintendran bin.
Eine Tür öffnet sich, und klassische Musik strömt in den Flur. Robert hält Max auf dem Arm und lässt ihn an einer CD-Hülle kauen. Ich schenke ihm mein bestes Lächeln, aber ich zittere nach wie vor. Mein Schwiegervater tritt vor und kneift die Augen zusammen. »Was ist denn mit dir passiert?«, fragt er.
Der ganze Tag, dieser ganze letzte Monat, all das schnürt mir förmlich die Kehle zu. Robert Prescott ist der letzte Mensch auf der Welt, vor dem ich zusammenbrechen will, dennoch kann ich nicht anders und lasse meinen Tränen freien Lauf. »Nicholas«, schluchze ich.
Robert runzelt die Stirn. »Er hat nie gelernt, sich mit jemandem anzulegen, der genauso stark ist wie er«, sagt er. Er nimmt mich am Ellbogen und führt mich in sein Arbeitszimmer, einen dunklen Raum, der mich an Fuchsjagden und steife, britische Lords denken lässt. »Setz dich, und atme erst einmal tief durch«, sagt er. Dann setzt er sich auf einen großen Lederstuhl und Max auf den Schreibtisch, damit er dort mit den Briefbeschwerern aus Messing spielen kann.
Ich lehne mich auf der burgunderfarbenen Couch zurück und schließe gehorsam die Augen, aber ich fühle mich einfach zu fehl am Platze, als dass ich mich wirklich entspannen könnte. Unter dem eingefrorenen Grinsen eines ausgestopften Rehbocks steht eine Kristallkaraffe mit Brandy, und über der Tür hängen zwei gekreuzte Duellpistolen. Dieser Raum – gütiger Gott, das ganze Haus – sieht aus, als wäre es einem Roman entsprungen.
Echte Menschen leben nicht so, umgeben von Tausenden von Büchern, antiken Gemälden blasser Frauen und dicken Teppichen. Echte Menschen nehmen eine Tasse Tee nicht so ernst, als wäre es die heilige Kommunion. Echte Menschen machen keine fünfstelligen Spenden an die
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