Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und dennoch ist es Liebe

Und dennoch ist es Liebe

Titel: Und dennoch ist es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
Vom Netzwerk:
Zeichnung nie aufgehängt, denn mein Vater hätte mich umgebracht, hätte er gewusst, dass ich freiwillig einen Kurs besucht hatte, bei dem Frauen und Männer sich sündhaft entblößten. Ich versteckte das Bild hinter meinem Schrank und schaute es mir von Zeit zu Zeit an. Das Offensichtliche an der Zeichnung fiel mir jedoch erst mehrere Wochen später auf. Die Bilder, die sich nahezu immer in meine Zeichnungen schlichen, waren hier nicht im Hintergrund. Ich hatte das Modell gezeichnet, ja, aber das Gesicht – und die Angst darauf – gehörten mir.
*
    »Hey«, sagte Marvela zu mir, als ich ins Mercy kam. Sie hielt eine Kanne Kaffee in der einen und einen Teller mit einem Muffin in der anderen Hand. »Ich dachte, du wärst heute krank.« Kopfschüttelnd schob sie sich an mir vorbei. »Mädchen, weißt du eigentlich, dass du mich schlecht aussehen lässt? Wenn du schon schwänzt, dann solltest du auch wegbleiben und nicht plötzlich mitten in der Schicht auftauchen, wenn dein Katholikengewissen dich übermannt.«
    Ich lehnte mich an die Kasse. »Ich bin auch krank«, sagte ich. »Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie so schlecht gefühlt.«
    Marvela schaute mich stirnrunzelnd an. »Wenn man mit einem Arzt verheiratet ist, schickt einen der dann nicht ins Bett?«
    »Ich meine nicht die Art von Krankheit«, sagte ich zu ihr, und Marvela riss die Augen auf. Ich wusste, was sie dachte. Marvela liebte Gerüchte und Verschwörungstheorien. »Nein, nein«, sagte ich rasch, bevor sie fragen konnte. »Nicholas hat keine Affäre. Und ich bin auch nicht von Aliens entführt worden.«
    Marvela goss mir eine Tasse Kaffee ein und stützte sich mit den Ellbogen auf den Tresen. »Ich nehme an, du erwartest jetzt von mir, dass ich rate«, sagte sie.
    Ich hörte sie, antwortete aber nicht. In diesem Augenblick stolperte eine Frau zur Tür herein. Sie trug ein Baby auf dem Arm, eine Einkaufstüte und eine große Umhängetasche. Als sie über die Schwelle trat, ließ sie die Einkaufstüte fallen und rückte das Baby zurecht. Marvela stieß einen leisen Fluch aus und stand auf, um der Frau zu helfen, doch ich legte ihr die Hand auf den Arm. »Wie alt ist das Kind?«, fragte ich und versuchte, dabei so gelassen wie möglich zu klingen. »Sechs Monate?«
    Marvela schnaubte. »Der ist schon fast ein Jahr«, sagte sie. »Hast du nie Babysitter gespielt?«
    Impulsiv stand ich auf und holte eine Schürze hinter der Theke hervor. »Lass mich sie bedienen«, sagte ich. Marvela zögerte. »Das Trinkgeld gehört dir.«
    Die Frau hatte ihre Einkaufstüte einfach auf dem Boden stehen gelassen. Ich schleppte das schwere Ding zu der Nische, in die die Frau sich gesetzt hatte – zu der, die früher Nicholas gehört hatte. Die Frau hatte das Baby auf den Tisch gelegt und zog ihm die Windel aus. Ohne sich die Mühe zu machen, mir zu danken, griff sie in die Einkaufstüte und holte eine frische Windel und eine Kette mit Plastikringen heraus. Letztere gab sie dem Baby. »Dah!«, sagte das Kind und deutete zur Lampe hinauf.
    »Lampe, genau, eine Lampe«, sagte die Frau zu ihrem Kind, ohne aufzuschauen.« Sie rollte die schmutzige Windel zusammen, machte die neue fest und fing die Kette mit den Ringen auf, bevor das Kind sie auf den Boden werfen konnte. Ich war fasziniert. Die Frau schien hundert Hände zu haben. »Kann ich bitte etwas Brot haben?«, erinnerte sie mich daran, meinen Job zu tun. Also lief ich in die Küche.
    Ich war so schnell wieder aus der Küche verschwunden, dass Lionel keine Zeit hatte, mich zu fragen, was zum Teufel ich auf der Arbeit mache. Ich hatte mir einen Korb mit Pizzabrötchen geschnappt und ging zum Tisch der Frau. Inzwischen balancierte sie ihr Kind auf dem Knie und versuchte, es davon abzuhalten, nach der Papiertischdecke zu greifen. »Haben Sie einen Hochstuhl?«, fragte sie.
    Ich nickte und zog einen kleinen Kinderstuhl heran. »Nein«, seufzte die Frau, als hätte sie das schon tausendmal erlebt. »Das ist kein Hochstuhl. Das Ding da ist für Babys ungeeignet.«
    Ich starrte den Stuhl an. »Funktioniert der nicht auch?«
    Die Frau lachte. »Wäre der Präsident der Vereinigten Staaten eine Frau«, sagte sie, »dann gäbe es in jedem verdammten Restaurant einen Hochstuhl, und Mütter mit Kleinkindern dürften ihre Autos auf Behindertenparkplätzen abstellen.« Sie hatte ein Pizzabrötchen in kleine Stücke gebrochen, die das Kind sich nun in den Mund stopfte. Sie seufzte, stand auf und suchte ihre Sachen zusammen.

Weitere Kostenlose Bücher