Und dennoch ist es Liebe
mich nicht an, sondern seufzte nur. »Ich war damals noch mit einer anderen verlobt. Ihr Name war Patty – Patty Connelly –, und sie war die Tochter der besten Freunde meiner Eltern. Wir waren gemeinsam aus Donegal in die Vereinigten Staaten gekommen, als ich fünf Jahre alt war. Patty und ich waren zusammen aufgewachsen. Du weißt schon … zwei ganz normale amerikanische Kids. Wir sind zusammen nackt im Teich geschwommen, wir haben zusammen die Windpocken bekommen, und ich habe sie auf jeden Schulball begleitet. Man hat einfach von uns erwartet, dass wir heiraten, weißt du?«
Ich trat neben ihn und gab ihm ein Stück Kabel, als er mich darum bat. »Und was war mit Mom?«, fragte ich.
»Einen Monat vor der Hochzeit bin ich plötzlich aufgewacht und habe mich gefragt, was um Himmels willen ich da eigentlich tue. Ich hatte das Gefühl, mein Leben wegzuwerfen. Ich liebte Patty nicht, und so rief ich sie an und sagte die Hochzeit ab. Drei Stunden später rief sie mich zurück, um mir zu sagen, dass sie ungefähr dreißig Schlaftabletten geschluckt habe.«
Mein Vater setzte sich auf das verstaubte grüne Sofa. »Das war eine ziemlich krasse Wendung, stimmt’s?«, sagte er und fiel in den irischen Akzent, der ihm angenehmer war. »Ich musste sie ins Krankenhaus fahren. Ich wartete, bis die Ärzte ihr den Magen ausgepumpt hatten, dann übergab ich sie ihren Eltern.« Mein Vater legte den Kopf in die Hände. »Wie auch immer … Ich bin in das Schnellrestaurant auf der anderen Straßenseite gegangen, und da war deine Mutter. Sie saß am Tresen und hatte die Finger voller Eis. Sie trug eines dieser kleinen roten Tops und weiße Shorts. Ich weiß nicht, Paige, ich kann es nicht erklären, aber sie drehte sich um, als ich hereinkam, und in dem Augenblick, als sich unsere Blicke trafen, war die ganze Welt um mich herum verschwunden.«
Ich schloss die Augen und versuchte, es mir vorzustellen. Ich kam zu der Überzeugung, dass es hundertprozentig wahr sein konnte. Vor allem, weil ich die Version meiner Mutter nicht kannte. »Und was dann?«, fragte ich.
»Und dann haben wir nach nur drei Monaten geheiratet. Das war nicht gerade einfach für deine Mutter. Ein paar alte, taube Tanten von mir redeten Mom auf der Hochzeit mit Patty an. Und sie hat Porzellan und Besteck bekommen, das Patty ausgesucht hatte, denn die Leute hatten die Geschenke schon gekauft, als die erste Hochzeit abgesagt worden ist.«
Mein Vater stand auf und ging wieder zur Werkbank. Ich starrte auf seinen Rücken und erinnerte mich daran, dass meine Mutter an Feiertagen immer ein wenig gereizt war, wenn sie den Tisch mit dem feinen Geschirr und dem Silberbesteck deckte. Ich fragte mich, was es wohl für ein Gefühl gewesen sein mag, sein Leben an einem Ort zu verbringen, der von jemand anderem geprägt worden war. Vielleicht hätte sie uns ja nie verlassen, wenn wir anderes Geschirr gehabt hätten.
»Und was«, fragte ich, »ist aus Patty geworden?«
*
Spät in jener Nacht spürte ich den Atem meines Vaters auf meiner Wange. Er hatte sich über mich gebeugt und schaute mir beim Schlafen zu. »Das ist nur der Anfang«, sagte er zu mir. »Ich weiß, du willst das nicht hören, aber er ist nicht derjenige, mit dem du den Rest deines Lebens verbringen wirst.«
Ich hörte seine Worte noch lange, nachdem er mein Zimmer wieder verlassen hatte, und ich fragte mich, woher er das gewusst hatte. Ein schaler Wind wehte zum offenen Fenster herein, und ich roch Regen. Ich stand schnell auf und zog mir die Kleider von gestern an. Geräuschlos stieg ich die Treppe hinunter und verließ das Haus. Ich musste nicht zurückschauen, um zu wissen, dass mein Vater mir aus dem Schlafzimmerfenster hinterherblickte, die Hände ans Glas gepresst, den Kopf gesenkt.
Dann fielen die ersten Regentropfen, schwer und kalt, als ich um die Ecke bog und meine Straße hinter mir ließ. Auf halbem Weg zur Werkstatt der Flanagans kreischte der Wind in meinen Ohren und blähte meine Jacke. Der Regen prasselte mir so heftig auf die Wangen und die nackten Beine, dass ich den Weg wohl nicht gefunden hätte, wäre ich ihn nicht schon jahrelang gegangen.
Jake zog mich aus dem Sturm und küsste mich auf Stirn, Augenlider und Handgelenke. Er schälte den durchnässten Mantel von meinen Schultern und wickelte mein Haar in ein altes Fensterleder. Er frage mich nicht, warum ich gekommen war, und ich fragte ihn nicht, warum er in der Werkstatt war. Gemeinsam fielen wir gegen eine alte
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