Und dennoch
wie wir ihnen die notwendigen Sprachfähigkeiten beibringen könnten. Ohne Türkisch sprechende Deutschlehrer war das nicht zu leisten, und die hatten wir ja nicht. Also mussten wir improvisieren, was längerfristig gesehen sicher nicht immer zu den bestmöglichen Lösungen führte.
So waren auf beiden Seiten völlig neuartige Problemfelder entstanden, denn auch die Eltern der Kinder konnten kaum Deutsch und wollten ihren Nachwuchs so erziehen, wie es in ihrer Heimat üblich war. Diese Haltung allmählich zu ändern, wurde zu einer der wichtigsten und schwierigsten bildungs- und gesellschaftspolitischen Aufgaben, wenngleich das anfangs nur wenige erkannt haben. In den frühen siebziger Jahren lernte ich in München die erste Bürgerinitiative zur Hausaufgabenhilfe für nicht-deutschsprachige Kinder kennen. Sie fand in Küchen oder Wohnzimmern statt und wurde von Hausfrauen und pensionierten Lehrern geleistet, die die Kinder nicht nur bei den Schularbeiten betreuten. Sie haben ihr Engagement jahrelang erfolgreich durchgehalten. Weiterhin besuchte ich den ersten deutsch-türkischen Kindertreff in Stuttgart, und 1983 zeichneten wir in der Theodor-Heuss-Stiftung Izzetin Karanlink aus, einen Türken, der in Berlin zusammen mit einem deutschen Berufsschullehrer
eine deutsch-türkische Ausbildungswerkstatt initiiert hatte. Derartige Projekte zur Schülerhilfe oder zur Berufsförderung türkischer Jugendlicher wurden damals noch eher als karitative Gutmenschen-Aktion angesehen und weniger als wichtige erste Schritte zur damals schon notwendigen Integration.
Heute ist übrigens aus der einst höchstens zehnköpfigen Initiativgruppe zur Betreuung ausländischer Kinder in München ein großes und vielfältiges Bürgerprojekt für Interkulturelle Begegnung und Bildung e.V. geworden, das neben vielen anderen Aktivitäten Ausbildungsbegleitung, Sprachkurse, ein Anti-Rassismus-Telefon oder eine Street-Football-League anbietet. Wir sind sehr stolz auf unsere Preisträger von vor dreißig Jahren. Aber wir bräuchten mehr davon!
Dazu ist die Einrichtung der hochrangigen Integrationskommission unter Vorsitz des jeweiligen Bundesinnenministers ein wichtiger Beitrag. Wenn es auch manche konservative Politiker immer noch nicht wahrhaben wollen: Deutschland ist zum Einwanderungsland geworden, und wir müssen bereit sein, damit zurechtzukommen. Mehr noch: etwas Gutes daraus zu entwickeln.
Für mich war Mitte der neunziger Jahre die Begegnung mit dem ersten türkischstämmigen Bundestagsabgeordneten der Grünen, Cem Özdemir , einer der wichtigsten persönlichen Motivationsschübe, mich nicht nur für einen fairen Umgang mit Migranten und ihren Familien, sondern für eine umfassende liberale Integrationspolitik einzusetzen. In lupenreinem Schwäbisch meldete sich Cem Özdemir im Bundestag zu Wort und sprach über die Schwierigkeiten der Migranten in Schule und Beruf. Dazu gehörte nicht nur Zivilcourage, sein Engagement für ein realistisches Multikulti-Zusammenleben war vor allem überzeugend. Für seinen Beitrag zum Abbau von Vorurteilen erhielt er, der sich gern als »türkischer Schwabe« bezeichnet, 1996 eine Theodor-Heuss-Medaille . Heute ist er Vorsitzender der Grünen, einer Partei, die mit ihrem Einzug in den Deutschen Bundestag mit Blumen und in Turnschuhen eine befreiende und herausfordernde,
manchmal schockierende Wirkung auf das Parteien-Establishment des Bundestags hatte.
Illusionen sind nicht erlaubt, aber Resignation ebenso wenig, denn natürlich gibt es auf der einen wie auf der anderen Seite weiterhin tief verwurzelte Traditionen und Mentalitäten, die nicht wegzuintegrieren, sondern auszuhalten, allenfalls zu mildern sind. Es gibt jedoch die Hoffnung, dass ein vielfältiges multikulturelles Zusammenleben möglich wird. Und das ist es, worauf es ankommt!
Mit Beginn der neunziger Jahre gab es erschreckende Wellen von Ausländerfeindlichkeit , die auch ein gerüttelt Maß an rassistischer und völkischer Überheblichkeit zutage förderte. Die Brandanschläge von Hoyerswerda 1991 und Mölln 1992 waren ein Fanal. Damals entwickelten sich aber erstmals wunderbare Gegenkräfte. An den Lichterketten beteiligten sich Zehntausende von Menschen, die dabei zur Toleranz und Akzeptanz von ausländischen Mitbürgern aufriefen. Ich denke, dass es dieses Bürgerengagement war, das ohne jede amtliche Anordnung sehr viel zum wachsenden Bürgerbewusstsein, für die Mitverantwortung in der Gesellschaft beigetragen hat – und ebenso zur
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