Und der Basilisk weinte (German Edition)
Frage nach der Wahrheit stellt sich nicht, weil sie im entscheidenden Augenblick ihr Kind nicht beschützt haben. Bleibt noch die Schwester des Toten, die ganz offen auf Rache sinnt. Kalt und berechnend den passenden Moment abwartet, um zuzuschlagen? Oder um zuschlagen zu lassen?
Für Ferrari lag eine ungeheure Dramatik in diesem Fall. Mit dem Tod von Gissler wurde die Vergangenheit lebendig. Die unterschiedlichsten Gefühle brachen auf, traten aus tiefem Innern ans Tageslicht. Fünfzehn Jahre kochte das Vergangene auf Sparflamme und plötzlich loderte das Feuer wieder wild auf.
«In Gedanken versunken?»
«Komm rein, Stephan. Hast du deine neue Freundin anständig verabschiedet?»
«Höre ich da eine Spur von Sarkasmus in deiner Stimme, Francesco?»
Stephan Moser setzte sich lässig auf einen Stuhl.
«Na ja, du gibst ziemlich Gas. Wann ist man schon nach zwanzig Minuten mit einer attraktiven Frau per Du?», stichelte der Kommissär.
«Sie hat mich total überrumpelt. Zu deiner Beruhigung, sie war in Begleitung von …»
«Markus Schneider. Ist er nicht mit raufgekommen?»
«Doch. Aber sie wollte ihn nicht dabei haben. Eine Wahnsinnsfrau!»
«Was habt ihr mit Schneider angestellt?»
«Er sass draussen an einem Tisch und las Zeitung.»
Nadine war zurückgekommen und blieb am Fenster stehen.
«Von wem sprecht ihr?»
«Von Ständerat Schneider.»
«Also draussen sitzt niemand. Das wäre mir aufgefallen. Frau Fahrner hat auch nichts erwähnt. Übrigens eine starke Frau!»
«Meine Rede, Nadine. Eine super Frau!»
«Gut, dass ihr einer Meinung seid. Dann wäre jetzt nur noch das Problem Schneider zu lösen. Wo steckt er?»
«Vielleicht ist er in der Kantine.»
«Eher bei unserem Staatsanwalt», überlegte Nadine.
«Du meinst, er schlägt schon mal einen Pfahl ein.»
«Würde mich nicht wundern. Borer liebäugelt doch schon lange mit einer politischen Karriere, und unter guten Freunden …»
«Sauhäfeli, Saudeckeli!»
«Vermutlich wird sich Borer demnächst sehr intensiv um den Fall bemühen. Ich könnte mir jetzt auch vorstellen, woher der Tipp kam.»
«Von Schneider. Borer wird es ihm gesteckt haben. Wer weiss, vielleicht sind sie zusammen bei den Rotariern oder Parteifreunde. Kannst du dich an Anita Brogli erinnern, Stephan?»
«Stiefelchen?»
«Exakt. Den Spitznamen hatte ich ganz vergessen.»
«Weshalb gerade Stiefelchen?», fragte Nadine nach.
«Weil sie immer in hohen Stiefeln rumlief. Ich habe mir oft vorgestellt, wie sie in ihren Stiefeln Verdächtige quält.»
«Das geht jetzt aber zu weit, Stephan», brummte Ferrari. Aber der Vergleich war nicht von der Hand zu weisen.
«Welchen Kosenamen habt ihr mir verpasst?»
«Kratzbürste!», rutschte es Stephan Moser heraus.
«Wie bitte? Immerhin besser als Stiefelchen.»
«Ich glaube, Anita Brogli wusste, wie wir sie nannten. Das berührte sie überhaupt nicht, es war ihr absolut egal. Die hat schon das eine oder andere Ding abgezogen, hart an der Grenze. Dann hats geknallt. Einem Disziplinarverfahren ist sie nur knapp entgangen. Und weg war sie.»
«Weisst du, wo sie jetzt ist und was sie macht?»
«Sie ist irgendwo in Graubünden. Ich habe sie vor drei Jahren an einem Weiterbildungsseminar getroffen. Hat in den Bergen ziemlich Karriere gemacht. Wenn mich nicht alles täuscht, ist sie Polizeichefin von Chur oder so. Was hat Stiefelchen mit eurem Fall zu tun?»
«Sie war damals die Assistentin von Meister und hat einem der Angeklagten nach dem Prozess gedroht.»
«Typisch Brogli!», schmunzelte Moser. «Für die gab es keine halben Sachen. Schuldige in den Bau. Zudem war sie eine Verfechterin der Todesstrafe.»
«Und Unschuldige nahm sie so lange in die Mangel, bis sie alles gestanden … oder starben.»
«Tja, sie ist oft über das Ziel hinausgeschossen, Nadine. Aber sie ist eine gute Polizistin gewesen.»
Was sind die Kriterien für einen guten Polizisten?, überlegte Ferrari, als er mit Nadine wieder allein war. Zeichnet sich ein guter Polizist dadurch aus, dass er Härte zeigt, stundenlange Verhöre führt, bis der Verdächtige gesteht? So wie Anita Brogli? Mag sein. Wenn Stephan sie als gute Polizistin bezeichnet, was sind dann wir? Mit Sicherheit zu anständig. Ferrari schmunzelte und wippte in seinem Sessel hin und her. Es gibt auch andere Methoden, zum Beispiel unsere! Vielleicht bin ich oft eine Spur zu menschlich. Andere würden wohl sagen zu weich. Da ist Nadine schon härter. Deshalb sind wir ja auch ein echt gutes
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