und der Herr der Loewen
kleine Tierschnitzerei hineinfallen, die Esau ihr geschenkt und die sie mitgebracht hatte, damit sie ihn auf seiner letzten Reise begleite.
Sie ist ein so liebevolles Mädchen, dachte Mrs. Pollifax. Als sie gingen, sagte Kadi: »Weißt du, die Menschen hier glauben, daß die Reise nach dem Tod sehr kurz ist, denn ihre Ahnen sind immer ganz in ihrer Nähe.«
10
Inzwischen hatte es nun fünf wie von Löwen gerissene Tote gegeben. Mrs. Pollifax gab das Wort zitatu auf und wußte jetzt, daß das Wort für fünf in Ubangibanisch zisanu war.
Danach erklärte ihr Tony Dahl, daß die Zahl zisanu bis einschließlich neun blieb, allerdings mit Zusätzen. So war sechs z. B. zisanu ndi chimodzi, sieben war zisanu ndi kiwir i, acht war zisanu ndi zitatu, neun war zisanu ndi zinai, die Zahl Zehn dagegen war khumi, danach begann es wieder von vorn.
Mrs. Pollifax sagte ungewohnt schroff, sie wolle das gar nicht hören, denn sie lege keinen Wert darauf, weitere Tote zu zählen, weder in Englisch noch Ubangibanisch.
Tony nahm es ihr nicht übel. »Verständlich. Ich bin ja eigentlich auch nur hier, um Sie einzuladen. Dr. Gibbons fliegt heute früh direkt von London hierher, bevor er wieder nach Hause zurückkehrt. Er hat seine Vorlesungen in Oxford beendet.
Er wird allerdings nur über Nacht hierbleiben. Morgen wird er den Flug von Agadir nach Dakar nehmen und von Dakar aus nach London zurückkehren. Da Kadi gestern einen so furchtbaren und leider realen Alptraum durchlebt hat - und Sie ebenfalls«, fügte er rasch hinzu, »habe ich den Tag frei bekommen, Dr. Gibbons vom Flughafen abzuholen und sie alle zur Fundstelle beim Bergwerk zu fahren. Die Ablenkung wird Kadi doch guttun, meinen Sie nicht?«
»Durchaus«, versicherte ihm Mrs. Pollifax. »Ich muß sagen, Ihr Professor reagiert sehr schnell! Und Sie haben den ganzen Tag frei bekommen?«
Tony grinste. »Ist das nicht großartig? Und diesmal ist es offiziell, World Aid ist jetzt sehr interessiert. Schließlich sind wir hier, um Ubangiba zu helfen, und falls es im Süden etwas gibt, aus dem sich etwas machen läßt - außer dem Kohlenbergwerk -, bedeutet das Arbeit und Brot für zwanzig bis dreißig Männer aus der ärmsten Gegend, ausländische Währung würde in Gwar umgetauscht und Geld für Landesprodukte ausgegeben werden. Aber wo ist Kadi?«
»Sie bringt Dr. Kasonde ein Buch zurück, das er ihr geliehen hat. - Ah, da kommt sie ja!«
Kadi sah wieder frisch und rosig aus. Sie war noch so jung und konnte daher auch schlimme Schicksalsschläge schnell verkraften; auch ihrer beider Vernehmung durch Inspektor Barda am vergangenen Abend hatte sie tapfer durchgestanden.
Doch Mrs. Pollifax entging die Trauer in ihren Augen nicht und die fast mißtrauische Wachsamkeit, die völlig neu für sie war und ihre Zeit brauchen würde, bis sie wieder verging.
Tony hatte recht, die Fahrt in den Süden würde ihr guttun und seine Gesellschaft erst recht.
»Er kommt schon so bald?« staunte Kadi. »Sie haben ihm ja noch nicht einmal die Fotos geschickt, oder?«
»Nein, aber...« Tony blickte sie in seiner Bescheidenheit fast verlegen an. »... nun, er kennt mich. Allerdings wird er leider nur bis morgen früh bleiben können. Er hat eben erst seine Vorlesungen zu Ende gebracht und beschlossen, sich zur Entspannung eine Woche Urlaub in London zu gönnen, bevor er nach Hause, nach Pennsylvania, zurückfliegt.«
Kadi sagte skeptisch: »Aber ob er hier entspannen kann?« Nur damit verriet sie, wie nahe ihr der gestrige Vorfall noch ging.
Mrs. Pollifax dachte traurig, daß sie seit gestern ein wenig älter geworden war.
Tony blickte auf seine Uhr. »Kommen Sie, sein Flugzeug landet in zwanzig Minuten.
Schauen wir mal, ob Mr. Simba den Landrover von World Aid schon zurückgebracht hat.«
»Dickson Simba?« erkundigte sich Mrs. Pollifax rasch. Tony nickte. »Sein Job ist eigentlich die Lotterie, aber in dieser Woche hat er uns mit der Buchführung für World Aid ausgeholfen.« Fast etwas verlegen fügte er hinzu: »Aus irgendeinem Grund achten wir alle peinlichst darauf, ihn Mr. Simba zu nennen. Wir würden es gar nicht wagen, das ›Mister‹
auszulassen, da ist irgendwas an ihm...«
Mrs. Pollifax lächelte. »O ja, ich habe ihn auch schon kennengelernt.«
Dickson Simba saß steif hinter dem Lenkrad eines Landrover, an dem die Aufschrift von World Aid unter dem Staub kaum noch zu erkennen war. Mit gleicher Steifheit stieg er aus dem Wagen, reichte Tony den Zündschlüssel, blickte
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