Und der Herr sei ihnen gnädig
brauchte sie sich keine Sorgen um Aufnahmeprüfungen und Vorstellungsgespräche für meine zehnjährige Schwester zu machen.
Die für die Mädchen zuständige stellvertretende Direktorin hieß Jaylene Taylor. Sie war eine große, grobknochige Frau mit einer breiten Stirn, langen Pferdezähnen und dunklen Augen. Zu ihrer marineblauen Hose trug sie eine beigefarbene Bluse und bequeme flache Schuhe. Als ich sie über den Grund meines Kommens informierte, verzog sie genervt den Mund.
»Ich kann Ihnen nicht einfach die Namen unserer Schülerinnen nennen. Jeder Mensch hat gewisse Rechte, sogar Minderjährige.«
Was genau genommen nicht stimmte, auch wenn das nicht der richtige Zeitpunkt war, ihr mit gesetzlichen Bestimmungen zu kommen.
»Außerdem«, fuhr Jaylene fort, »sind Sie ja nicht auf der Suche nach einem schwangeren Mädchen, sondern nach einem, das schwanger war. Wissen Sie, wie viele schwangere Mädchen hier jedes Jahr die Schule abbrechen?«
»Bestimmt eine ganze Menge.«
»Eine Unmenge. Wir haben all diese staatlich angeordneten Prüfungsanforderungen. Unser Hauptproblem ist es, die Schüler dazu zu bringen, dem Unterricht beizuwohnen und ihren Abschluss zu machen. Höhere Bildung?« Sie streckte die Zunge heraus.
»Was ist das?«
»Ich war auch an einer staatlichen Schule.«
Sie warf mir einen missmutigen Blick zu, der so viel bedeutete wie: Und schauen Sie, wo Sie das hingebracht hat!
»Ich möchte doch nur mit ihnen reden, Ms. Taylor.«
»Sie sind über sämtliche Klassen verteilt, Officer Decker.« Sie mustere mich voller Verachtung. »Das hier ist keine Spezialschule für widerspenstige weibliche Teenager, die nicht Nein sagen können.« Leiser fügte sie hinzu: »Auch wenn es mir manchmal so vorkommt.«
»Besuchen diese Mädchen denn keine besonderen Kurse?«
Ihr Lachen klang freudlos. »Ihnen ist ein ganzes Hauptfach gewidmet. Es nennt sich Hauswirtschaft, auch wenn man nicht unbedingt schwanger sein muss, um es zu belegen.« Sie verdrehte die Augen. »Das ABC des Windelwechselns.« Mit einem Seufzer fügte sie hinzu: »Na ja, ganz so schlimm ist es auch wieder nicht. Und wahrscheinlich ist das alles für die Mädchen viel wichtiger als Shakespeare.«
»Ich hätte gedacht, Romeo und Julia wäre für junge Mädchen sogar sehr wichtig. In dem Alter ist man schließlich noch romantisch.«
»Ihre Annahme basiert auf der Voraussetzung, dass diese Mädchen lesen können.«
Ich beschloss, nicht weiter auf Konfrontationskurs zu gehen, sondern mich stattdessen aufs Bitten zu verlegen. »Ms. Taylor, die Mutter hat ihr Baby wie ein Stück Abfall in einen Müllcontainer geworfen. Wenn wir es schaffen, diesen Mädchen klar zu machen, dass kein Grund besteht, ihren Babys Schaden zuzufügen, und dass es Möglichkeiten gibt, einen Säugling auf eine legale und anonyme Weise abzugeben, dann können wir vielleicht zukünftige Leben retten.«
»Ja glauben Sie denn, wir sagen ihnen das nicht?«
»Daran zweifle ich nicht. Aber es gibt nichts Wirkungsvolleres als ein Beispiel aus dem wirklichen Leben. Anhand eines solchen konkreten Falls kann man es ihnen viel besser nahe bringen.«
Sie verzog erneut den Mund und funkelte mich einen Moment lang zornig an. Dann wurden ihre harten Züge plötzlich weich. Ich wusste, dass ich gewonnen hatte. »Wir bieten in der vierten Stunde einen Kurs für schwangere Mädchen an, die vom regulären Sportunterricht befreit sind. Es kann sicher nichts schaden, wenn sie es mal aus dem Mund einer Polizistin hören.« Sie musterte mich skeptisch. »Es wäre besser gewesen, Sie wären in Ihrer Uniform gekommen.«
»Ich mache das Ganze außerdienstlich, in meiner Freizeit. Falls ich damit Erfolg habe, werde ich nächstes Mal einen offizielleren Rahmen wählen.«
»Also gut, dann lassen Sie uns gehen. Aber machen Sie sich keine falschen Hoffnungen. Und glauben Sie bloß nicht alles, was Ihnen die Mädchen erzählen. Diese Damen haben eine große Klappe und verstehen sich aufs Flunkern.«
Es waren dreiundzwanzig Mädchen, keines von ihnen hatte einen Ehemann, und den Freund konnte man in den meisten Fällen auch vergessen. Die meisten kamen aus zerrütteten Verhältnissen, und keine besaß Geld. Welche Art von Zukunft hatten diese Mädchen? Wie sollten sie ihre Kinder und sich selbst ernähren, ohne in einer Statistik über den steilen Weg nach unten zu landen? Ich versuchte, mit ihnen zu reden, ohne herablassend zu klingen, und mein Anliegen leidenschaftlich und ehrlich
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