… und der Preis ist dein Leben II - Ruf der anderen Seite (German Edition)
der Treppe zur Eingangstür, um so kurz wie möglich dem Nieselregen ausgesetzt zu sein. George, Hamiltons orientalisch gekleideter Privatsekretär, Assistent, Butler, oder wie auch immer die Stellenbezeichnung genau lauten mochte, erwartete sie bereits und führte sie direkt in die Bibliothek.
Elizabeth nahm auf einer ausladenden, mit cremefarbener Seide bezogenen Chaiselongue Platz, schlug die Beine übereinander und holte ihre Unterlagen hervor, die sie sorgfältig neben sich ausbreitete.
Unterdessen schlenderte Daniel durch den Raum und begutachtete interessiert die religiösen Kunstgegenstände. „Meine Güte“, murmelte er und blieb vor der bronzenen Kalifigur stehen. „Der möchte ich nicht im Dunkeln begegnen. Zehn dolchbewehrte Arme und eine Kette aus Schädeln.“
„Den afrikanischen Fetisch daneben finde ich mindestens genauso gruselig“, sagte Elizabeth mehr zu sich selbst, als zu Daniel.
„Ja, ich weiß. Ist nicht jedermanns Geschmack.“ Sir Thomas war unbemerkt eingetreten und kam nun langsam, auf einen Gehstock gestützt, auf sie zu. Er sah aus, als wäre er in den letzten Tagen um ein Jahrzehnt gealtert. Seine Haut war wächsern und spannte sich um die Augenhöhlen und die hohlen Wangen. Die Hand, die den Gehstock umklammert hielt, zitterte heftig, doch seine blauen Augen waren so wach und intelligent wie eh und je.
Elizabeth tauschte einen schnellen Blick mit Daniel, den der Zustand des alten Herrn ebenso zu bestürzen schien wie sie.
„Danke, dass sie noch einmal extra hier herausgekommen sind.“ Hamilton ließ sich mit einem unterdrückten Ächzen in einen Ohrensessel sinken.
„Das ist doch selbstverständlich, Sir Thomas.“ Elizabeth machte eine kurze Pause. „Verzeihen Sie bitte meine Neugier … aber geht es Ihnen gut?“
„Aber ja, meine Liebe. Machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe nur mit einer etwas … ärgerlichen und energiezehrenden Geschichte zu kämpfen. Mit ein bisschen Glück ist in wenigen Tagen alles überstanden.“ Er deutete mit einem zittrigen Finger auf ihre Unterlagen. „Sie haben den Artikel mitgebracht?“
Da der alte Herr offensichtlich nicht weiter über seinen Gesundheitszustand sprechen wollte, nickte Elizabeth nur und holte den Ausdruck des Textes hervor. Daniel sah sich indes weiter in der Bibliothek um, als hätte er mit dieser Angelegenheit nicht das Geringste zu tun. Dieses Herumgeistern machte Elizabeth ziemlich nervös, denn es fiel ihr schwer, ihm nicht mit den Augen zu folgen, und sich voll und ganz auf ihr Gegenüber zu konzentrieren.
„Eigentlich ist es nur eine Kleinigkeit, die ich Sie bitten möchte, zu ändern“, erklärte Sir Thomas mit einer Stimme, so brüchig wie raschelndes Pergamentpapier. „Wie ich schon am Telefon sagte, finde ich den Text insgesamt sehr gelungen, doch die Ausführungen über meine Schulen, und insbesondere über die ehemaligen Schüler, müssen wir erheblich kürzen. Ich bin zwar beeindruckt, was Sie da alles herausgefunden haben, doch ich fürchte, einige Details sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.“
„Oh“, sagte Elizabeth verwundert. Damit hatte sie nun nicht gerechnet. Immerhin stammten ihre Informationen aus öffentlich zugänglichen Quellen.
„Wie Sie sich sicherlich vorstellen können, wären einige der von Ihnen genannten Herren nicht sonderlich glücklich darüber, wenn publik würde, aus welch einfachen Verhältnissen sie stammen. In unserer Gesellschaft zählt Herkunft leider immer noch mehr als Leistung und Einsatzbereitschaft.“
„Wenn das so ist, dann kannst du ihn ja vielleicht dazu überreden, dass du wenigstens deinen reizenden Ex-Chef Sam Jeffries als Referenz nennen darfst“, meldete sich Daniel zu Wort und beendete endlich seinen Rundgang. Er setzte sich neben sie auf die Chaiselongue, seine Ellenbogen auf die Knie gestützt und die Hände gefaltet.
„Ich verstehe Ihre Bedenken durchaus, Sir Thomas.“ Wie beiläufig schob Elizabeth die Unterlagen zusammen und legte sie sich auf den Schoß, damit Daniel näher heranrücken konnte. „Aber ich denke, dass diese Details dem Artikel erst die nötige Substanz verleihen. Sie dokumentieren, wie wichtig und auch wie erfolgsversprechend die Arbeit mit Jugendlichen aus Randschichten ist.“
„Es tut mir leid, Elizabeth, doch das ist nicht verhandelbar.“ Plötzlich lag eine Härte und Autorität in seinem Ton und seinen Augen, die Elizabeth schier die Sprache verschlug. Eigentlich wollte sie noch anführen, dass die
Weitere Kostenlose Bücher