und der tanzende Derwisch
entdeckte sie niemanden, der Ibrahim ähnlich sah, ja, überhaupt keinen Kellner. Sie beschloß, daß jetzt eine günstige Gelegenheit sei, nach der Toilette zu suchen. Janko gähnte, endlich einmal ein menschlicher Zug an ihm. Eine Fahrt von etwa dreihundertzwanzig Kilometern, mit nur einer kurzen Mittagspause, ging auch an ihm nicht spurlos vorüber. Im Café saßen mehrere Männer an der Theke, wo Tee und Espresso und Bier ausgeschenkt wurden. Hinter dem Tresen stand ein älterer Mann mit buschigem Schnurrbart; aber es war nicht Ibrahim Atubi. Falls sich herausstellen sollte, daß sich der Schwindler hier in Er Rachidia befand, mochte es Unannehmlichkeiten mit Janko geben: Wäre es möglich, daß es durch seine feindselige Einstellung ihr gegenüber beispielsweise zu Schwierigkeiten käme, den Befehl auszuführen, Baltimore sofort zu benachrichtigen? Würde seine hartnäckige Weigerung, bei diesem Auftrag mit ihr zusammenzuarbeiten, den Zweck dieses Auftrags außer acht lassen? Dieser Gedanke war ihr neu und beunruhigte sie. Als sie aus der Toilette kam, stieß sie fast mit einem Mann zusammen, der mit einem Tablett durch das Café eilte. Er trug eine grüne Halbschürze und wich mit einem hastigen »Verzeihung, Madame« aus.
Sie blickte ihn an und lächelte. Es war Ibrahim. »Es ist ja nichts passiert«, versicherte sie ihm.
»Ah, Sie sprechen Englisch! Haben Sie bereits bestellt?«
»Wir sitzen draußen«, erklärte sie ihm.
Er nickte eifrig. »Ich komme gleich hinaus, Madame. Entschuldigen Sie bitte, ich mußte noch rasch — wie sagen Sie?
- Brötchen holen.«
»Ja, Brötchen.« Sie kehrte zu ihrem Begleiter zurück. Janko hatte sich eine Zigarette angezündet und hing stirnrunzelnd offenbar wieder den Gedanken nach, die ihn schon den ganzen Tag abwesend erscheinen ließen. Ibrahim folgte, verbeugte sich und erkundigte sich mit einem Lächeln, genau wie auf der Fotografie, nach ihren Wünschen.
Janko bedachte ihn mit einem langen, nachdenklichen Blick, ehe er bestellte: »Du the á la menthe. «
»Espresso«, bat Mrs. Pollifax. Nachdem er gegangen war, lächelte sie Janko an. »Wir haben Ibrahim gefunden.«
Er nickte. »Ja, Ibrahim haben wir.«
»Ein sehr netter Mann.«
Janko zuckte die Schultern. »Kann schon sein.« Sie bekamen ihre Getränke: Janko ein Glas Tee mit Minzeblättern und Zuckerwürfeln rundum auf der Untertasse und sie ein Täßchen Espresso. Sie hatte es schnell geleert, und da es zu keiner Unterhaltung kam, blickte sie Janko an, der ausdruckslos an seinem Tee nippte. Zwei Einsame Seite an Seite, ohne sich je zu berühren, dachte sie - welche Vergeudung! Laut sagte sie mit einem Blick auf die Uhr: »Ich habe meinen Espresso getrunken und werde mich noch ein bißchen hier umsehen. Ich bin bald zurück.«
»Hoffentlich« brummte er.
Sie stand auf und überquerte die Straße. An dem Schild Dentiste mit einem bedrohlichen Bild von Zähnen ging sie vorbei und blieb vor einem Zeitungskiosk stehen. Sie lächelte, als sie ein Mickymaus-Taschenbuch sah, auf dem Mickey Jeux stand, und als sie keine englischsprachigen Zeitungen entdeckte, ging sie weiter zu dem nächsten Laden. Das Schaufenster war mit roten, gelben und türkisen Papiergirlanden umrahmt, auf dem Aushängeschild stand Tabac und auf einem kleineren Souvenirs. Sie trat ein, nickte dem Mann hinter dem Ladentisch zu und schaute sich glücklich um. Hier gab es kleine polierte Kästchen aus Zedernholz, Päckchen mit Räucherwerk und Kerzen für die Moschee, primitive Holzschnitzereie n und verschiedene ungewöhnliche Schatullen aus Messing und Silber, von denen sie eine hochhob, um sie sich näher anzusehen und zu bewundern. Hinter ihr sagte eine Stimme auf englisch: »Das ist ein Koranbehälter - sehen Sie die Kordel? Damit kann man ihn sich um den Hals hängen.«
Das Englisch war fehlerlos. Sie drehte sich um, stellte fest, daß der Ladenbesitzer noch hinter dem Tresen stand, und ein neu hinzugekommener Kunde zu ihr gesprochen hatte: ein Mann in grau-weiß gestreifter Dschellabah und lockerer dunkler Kopfumwicklung, so daß sein sympathisches, gutaussehendes Gesicht mit schmalem Schnurrbart und erstaunlich blauen Augen zu sehen war.
»Oh, vielen Dank, das wußte ich nicht«, sagte sie und lächelte ihn an.
Er rief dem Eigentümer etwas auf arabisch zu und erhielt eine Antwort. Amüsiert sagte er leise: »Es soll fünfundvierzig Dirham kosten, aber wenn Sie es wirklich kaufen möchten, rate ich Ihnen, ihn herunterzuhandeln.« Es war ein
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