und der tanzende Derwisch
Ouarzazate und Rouida zu
erzählen?«
Seine schönen Augen musterten sie ausdruckslos. »Wir haben
ein Sprichwort: Fliegen kommen nicht in einen geschlossen
Mund.« Sanft fügte er hinzu: »Nein, er erfuhr nichts von mir. Er
konnte mich nicht zum Reden bringen. Aber diese Leute sind
geduldig, und jetzt...«
Sie wand sich innerlich. »Jetzt sind wir drei.« Drei zum
Befragen, dachte sie. Drei, auf die sie Druck ausüben, die sie
verhören, bedrohen und, wenn nötig, foltern können. Sie
erinnerte sich an Hongkong und schauderte. »Das Warten ist
schlimm«, sagte sie.
Sidi Tahar blickte zu der vergitterten quadratischen Öffnung
hoch, durch die das Licht fiel. »Es ist die halbe Zeit zwischen
Spätnachmittag und dem Sonnenuntergangsruf zum Gebet.« Sie hielt die Armbanduhr ins Licht. »Kurz nach fünf Uhr.
Ouarzazate ist ungefähr hundertzwanzig Kilometer entfernt. Es
wird eine Weile dauern.« Aber sie würden nicht in einem
klapprigen Laster kommen, der die Steigungen nur langsam
schaffte, sondern in schnellen Autos oder gar mit einem
Hubschrauber, falls einer vorhanden war, denn zweifellos waren sie dafür wichtig genug. Die Information über ein Netz von Polisario-Informanten, das es schon so lange gab, mußte sie ganz schön in Aufregung versetzt haben. Vielleicht waren deshalb sogar Köpfe gerollt, und Ärger und Rachegefühle würden sicher keine Freundlichkeit aufkommen lassen. Sie dachte an Ahmad und fragte sich, wie lange er auf sie warten würde, bis ihm dämmerte, daß sie nicht zurückkommen würden. Ob er seine Verwandten finden konnte? Sie hatte aus seinen Worten geschlossen, daß er sie schon einmal besucht hatte, doch genausogut war es möglich, daß er das alles nur von seinem Vater wußte. Zumindest kennt er ihren Namen, dachte sie. Sie können nicht zu weit von hier entfernt sein, und vielleicht hilft ihm auch jemand. Aber sie hielt es für wahrscheinlicher, daß er sich allein auf die Suche nach ihnen machte, und das Herz tat ihr weh, als sie sich vorstellte, wie er einsam und verlassen
dahinirrte.
Max hatte die Augen geöffnet. »Ich habe Ihnen beiden
zugehört«, gestand er. »Sidi Tahar, was haben Sie mit mir
gemacht?« Er setzte sich sichtlich verärgert auf.
Sidi Tahar lächelte. »Kennen Sie die Meditationen unseres
Dichters Rumi? Er schrieb, daß es keinen Grund für Angst gibt,
daß es unsere eigene Phantasie ist, die uns der Vernunft
verschließt wie ein hölzerner Riegel die Tür. Ich habe diesen
Riegel nur ein wenig gelöst, das ist alles. Vielleicht können Sie
jetzt in den gegenwärtigen Augenblick zurückkehren.« »Eine freudlose Vorstellung«, brummte Max. »Ignorieren Sie
die Tatsache, daß wir gefangengenommen und eingesperrt
wurden?«
»Ich bin nicht blind«, versicherte ihm Sidi Tahar. »Wir sind in
Allahs Hand - glauben Sie!«
»Und wenn Allah es gar nicht sieht?«
»Wäre es sein Wille.«
Interessiert erkundigte sich Mrs. Pollifax: »Sind Sie ein
Mystiker, Sidi Tahar, oder etwa ein Priester?«
Max sagte: »Wenn, dann ein Sufi, denn so redet er, und ich
hörte ihn das Wort maße erwähnen, das Jünger bedeutet. Sind
Sie ein Sufimeister, Sidi Tahar, ein Derwisch oder ein khalif
ar?«
Sidi Tahar zuckte mit den Schultern. »Das sind Worte, nichts
weiter.«
»Ein muslimischer Mystiker!« rief Mrs. Pollifax. »Wurden
Sufi nicht auch tanzende Derwische genannt? O Sidi Tahar, sind
Sie etwa ein tanzender Derwisch? Tanzen Sie?«
Seine Augen lächelten über ihre Begeisterung. »Sie meinen,
was wir ›das Drehen‹ nennen. Für uns ist es ein Gebet, aber
auch ein Tanz, sozusagen um uns - zu befreien, damit wir
höhersteigen können.«
»Wohin?« fragte sie.
»Zum Bewußtsein. Zu Gott. Zum Licht.«
»Und bestimmt wird Ihnen schwindelig«, bemerkte Max
trocken.
Neugier und Interesse gewannen die Oberhand über die
gegenwärtige Trostlosigkeit. »Könnten Sie es mir bitte zeigen?«
fragte Mrs. Pollifax. »Oder ist es eine Blasphemie, Sie darum zu
bitten, mir zu zeigen, wie Sie tanzen oder sich drehen?« Er lachte. »Das fragen Sie, eine Nasrani? Aber um Sie zu
amüsieren - und ist jetzt nicht eine gute Zeit, das Warum zu
vergessen? - werde ich Ihnen sagen, wie Sie anfangen müssen.« »Schukran«, bat sie und lächelte ihn an.
»Stehen Sie gerade.«
»Einfach genug bisher«, warf Max spöttisch ein.
»Nun müssen Sie sich auf Ihr Zentrum konzentrieren, das ist
das Allerwichtigste.« Er legte die Hand auf ihren Solarplexus.
»Hier ist Ihr Zentrum. Fühlen Sie es! Ohne Zentrum kein
Drehen,
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