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und der tanzende Derwisch

und der tanzende Derwisch

Titel: und der tanzende Derwisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman
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Auftrag klar, doch in diesem Fall fühlte sie sich ganz
besonders verpflichtet, ihn vor seinen eigenen Leuten zu
schützen. Das schuldete sie ihm. Atlas war streng geheim, nur
wenige Personen wußten davon, durften davon wissen. Nein,
von der CIA konnte keine Hilfe kommen. Sie würde auch gar
nicht darum bitten. Vielleicht war es das klügste, gleich zu
sagen, daß sie Flavien erschossen hatte, denn wenn Max es nicht
getan hätte, würde sie selbst bestimmt ihr möglichstes getan
haben, ihn zu töten. Und kam der Vorsatz nicht bereits der Tat
gleich? Als Frau und Amerikanerin würde sie vielleicht eine Spur sanfter behandelt werden als Max, dem man die Verbindung zur CIA nachweisen konnte, da er Flaviens Chef in
Kairo gewesen war.
Diese Informationen besaßen sie ganz sicher. Nein, dachte sie
traurig, Cyrus würde sie nicht zu Hause vorfinden, wenn er
zurückkam. Wie naiv sie gewesen war, als sie gedacht hatte, sie
wäre bis dahin wieder bei ihren Geranien! Ein einwöchiger
Ausflug durch Marokko, hatte Bishop gesagt - und jetzt saß sie
in einem Bergstädtchen im Süden von Marokko gefangen, ohne
Hoffnung auf Rettung.
Sie lehnte den Kopf an die Wand und schloß kurz die Augen.
Als sie sie wieder öffnete, sah sie Sidi Tahar auf dem
Lehmboden sitzen und sie beobachten. Er lächelte. Es war ein
verzauberndes Lächeln in seinem verwitterten dunklen Gesicht,
und sie erwiderte es. Sie hatte einen Sufi kennengelernt, nun
fragte sie: »Sind Sie auch ein Prophet, Sidi Tahar?«
Sein Lächeln vertiefte sich und er zwinkerte. »Wir haben eine
alte Geschichte darüber, Sie können es auch Wit z nennen. Es
war einmal ein Mann, der sich, als er in einem fremden
Städtchen ankam, als Prophet ausgab. Die Leute fragten ihn:
›Wie könnt Ihr beweisen, daß Ihr wirklich ein Prophet seid?‹
Und er antwortete: ›Als Beweis erbiete ich mich, euch zu sagen,
was ihr denkt.‹ Da riefen sie eifrig: ›So sagt uns denn, was Ihr in
unseren Gedanken lest!‹ Und er erwiderte: ›Ihr denkt, daß ich
gar kein Prophet bin, sondern ein Lügner.‹«
Mrs. Pollifax lachte. »Ich mag Ihre Geschichten und Ihre
Sprichwörter. Verraten Sie mir, wo Sie so gut Englisch gelernt
haben?«
»Im zweiten Weltkrieg«, sagte er. »Ich verließ Marokko, um
mit den Freien Franzosen zu kämpfen, und verbrachte ein paar
Jahre mit Engländern und Amerikanern, die in Nordafrika
kämpften.«
»He!« sagte Max in seiner Ecke.
Sie nickte. »Ja!« Dann lehnte sie sich vor und fragte: »Und haben Sie in Tripolis einem Mann das Leben gerettet, Sidi
Tahar?«
Er lächelte. »Sie kennen Carstairs also.«
»Ja. Er hat mich geschickt. Und weil er auf gewisse Weise
mein Leben gerettet hat«, sagte sie ernst, »danke ich Ihnen, weil
Sie seines retteten.«
»Manche Männer sind wie gutes Brot, andere wie Steine«,
entgegnete er. »Wie könnte man einen solchen Mann im Stich
lassen?«
Durch die Wände hörten sie nun den Muezzin zum Gebet
rufen, zur Schehada, und seine Stimme schwoll an und ab... Die
Zeit des Sonnenuntergangs war gekommen. Sidi Tahar sank auf
den Boden und berührte ihn mit der Stirn, dabei rief er: »La ilah
Allah wa - Muhammed rasul Allah ...«
Mrs. Pollifax schloß die Augen, hörte ihm zu und hoffte, die
schreckliche Spannung des Wartens zu bezwingen.

16
    Mornajay schätzte, daß er von Marrakesch bis zum Tizi-nTichka im Höchstfall drei Stunden brauchen würde, und fuhr so schnell wie die teilweise bergige Strecke und der Verkehr es erlaubten, um den Paß zu überqueren, ehe neuer Schneefall dazwischenkam, und um in Ouarzazate noch ein spätes Abendessen zu bekommen. Er mußte sich eine gewisse Abenteuerlust eingestehen, denn immerhin war der Tizi-nTichka mit seinen 2260 Meter der höchste Paß des Hohen Atlas, und jetzt war Januar. Er ließ eine gemäßigte Zone mit schwerbehangenen Orangenbäumen, Bougainvillea, fruchtbaren Gärten und Dörfern zurück, und als krassen Gegensatz brauchte er nur aufzusehen, wo sich voraus die schneebedeckten Berge himmelhoch abhoben. Aus seiner Universitätszeit erinnerte er sich, daß Plinius von einem Römer namens Suetonius Paulinus geschrieben hatte, der im fünften Jahrhundert den Hohen Atlas über den Tizi-n-Tichka überquert hatte. Mein Gott, wie lange ist das her! dachte er; es war aufregend, sich den Römer vorzustellen, der eine solche Reise riskiert hatte, denn zu jener Zeit wagten sich nicht viele über die Mittelmeerküste hinaus. Auf den alten Karten war der Maghreb als Mauretanien eingetragen, doch das hatte

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