und der verschwiegene Verdacht
für mich getan haben, als Sie mich hier herausgeschleppt haben? Denken Sie, ich bin Ihnen nicht dankbar?«
»Ich bin nicht böse auf Sie , Syd«, sagte Emma kurz.
»Das weiß ich doch, Mädchen. Aber jetzt will ich Ihnen auch was Gutes tun, verstehen Sie? Vielleicht kann ich Ihnen auch mal helfen.«
Emma zog ihre Arbeitshandschuhe aus und legte sie auf den Schoß, dann wandte sie sich an Syd.
»Glauben Sie, dass Nell lügen könnte?«
Syd sah sie an. »Eigentlich nicht«, sagte er. »Sie ist ein aufgewecktes Kind. Sie mag ihre Geschichten hier und da etwas ausschmücken, aber sie kann Wahrheit sehr wohl von Unwahrheit unterscheiden.«
»Was würden Sie dann sagen, wenn ich Ihnen er-zählte, dass Nell angedeutet hat, Derek lasse sie und Peter für längere Zeit allein zu Hause mit jemandem, der zu betrunken ist, um sich um sie und den Haushalt zu kümmern?«
»Dann würde ich sagen, dass Sie mit Derek da-rüber sprechen sollten«, sagte Syd.
»Aber wie kann ich das machen?«
Syd bewegte lässig die Hand. »Sie gehen zu ihm und sagen: ›Derek, haben Sie einen Augenblick Zeit?‹ …«
»Nein, Syd, das meine ich nicht. Ich meine, in einem weiteren Sinn, rein philosophisch betrachtet.
Was habe ich für ein Recht, mich da einzumischen?
Warum sollte es meine Angelegenheit sein, was Derek mit den Kindern macht? Es hat doch eigentlich nichts mit mir zu tun.«
»Es sieht mir ganz danach aus, als ob Sie es im weiteren Sinn und rein philosophisch betrachtet bereits zu Ihrer Angelegenheit gemacht haben. Haben Sie letzte Nacht gut geschlafen?«
»Nein, überhaupt nicht.« Emma fuhr mit der Hand über das glatte silbrige Holz der Bank. Halb ärgerlich, halb verlegen sagte sie: »Ich habe heute früh dort angerufen.«
»Wo?«
Emma seufzte. »Ich habe die Nummer gewählt, die auf Dereks Visitenkarte steht. Eine Frau hat ge-antwortet. Sie war auf eine gewisse Art ganz freundlich, aber … aber es schien wirklich, als ob sie betrunken war. O Syd, ich konnte es fast am Telefon riechen.« Emmas Finger trommelten nervös auf der Lehne der Bank. »Sie stellte sich als Mrs Higgins vor.«
»Was Sie nicht sagen.« Syd stieß einen leisen Pfiff aus und ließ die Fingergelenke knacken. »Aber das kann ich Ihnen jetzt schon sagen: Wenn es stimmt, dann ist es nicht Dereks Schuld.«
»Wie wäre das möglich?«, fragte Emma.
»Weil er die Kids liebt. Er würde sie nie auf diese Weise im Stich lassen. Jedenfalls nicht mit Absicht.« Syd zuckte die Schultern. »Haben Sie schon mal dran gedacht, dass er es vielleicht gar nicht weiß?«
Emma hörte mit dem Getrommel auf.
»Ich meine, Liebe ist doch gegenseitig«, sprach Syd weiter. »Diese Kids würden doch auch für ihn alles machen, stimmt’s? Und Peter …« Syd schüttelte den Kopf. »Ich hab noch nie so ’n verschlossenes Kind gesehen. Der sagt jedenfalls nicht immer die Wahrheit.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Emma.
Syd sah sie mitleidig an. »Ich hab drei Söhne großgezogen, Emma. Und ich habe fünf Enkel, auch alles Jungen. Denken Sie, ich merke nicht, wenn so ’n kleiner Kerl schwindelt?« Er rieb sich die Nasenwurzel. »Trotzdem, sind schon komische Lügen, die er da erzählt. Zum Beispiel neulich, da ging’s um ein Fußballspiel in seiner Schule. Vielleicht denkt er ja, dass er mir einen Bären aufbin-den kann, weil ich ein Ami bin. Aber ich bin schon zwanzig Jahre in England, Emma. Ich kenn mich mit Fußball aus, und das erschöpft sich nicht darin, dass ich weiß, dass man es in England nicht soccer nennt. Und ich sag Ihnen eins: Wenn der Bengel jemals im Leben ein Fußballspiel gesehen hat, dann fress ich diesen alten, verschwitzten Hut. Warum sollte er mich wegen so was denn anlügen, hm?
Können Sie mir das sagen?«
Emma dachte an Nells Worte. Wenn Papa weg ist, muss Peter alles machen. Plötzlich fiel Emma ein, dass sie außer an dem Abend, wo sie die Jean-Tinguely-Konstruktion gebaut hatten, Peter noch nie hatte spielen sehen. Er war jeden Morgen als Erster im Garten und meist der Letzte, der ihn verließ. Nanny Cole hatte ihn geschimpft, weil er im Kinderzimmer aufräumen wollte, und selbst Bantry hatte sich gewundert, als der Junge den Schuppen fegte. Nun erinnerte sie sich auch an Peters Kommentar über das Kricketspiel, das ihm ebenfalls Kopfzerbrechen zu bereiten schien. Langsam und mit einem flauen Gefühl im Magen kam Emma jetzt eine Ahnung, warum der Junge sich geweigert hatte, nach Harrow zu gehen. Er wollte nicht in ein Internat, weil er
Weitere Kostenlose Bücher