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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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zornigen Augen gesprochen. Und Nell, sonst immer so ruhig und sanft und jetzt vielleicht noch ein bißchen trunken vom Nachtwind und von ihren sehnsüchtigen Träumen, die einsame, herumgestoßene Nell sagte, plötzlich aufsässig, mit gelassener Stimme:
    «Einen kenne ich jedenfalls, dem nichts abgeht.»
    Opas Pupillen umwölkten sich, das Weiße seiner Augen glich alten unsauberen Bettlaken. Einen Moment warf er Zornesblicke auf Nell, dann wandte er den Blick ab und zog die Uhr heraus. «Ist meine Wärmflasche drin, Nell?» Sie nickte. «Na, dann will ich mal gehen. Nacht, Walter, Nacht, allesamt.» Mit gesenktem Blick schlurfte er aus dem Zimmer, alt, beim ersten Trompetensignal geschlagen. Zum Gefecht taugte Opa nicht mehr.
     

4
     
    Danach brachen alle auf und tasteten sich durch die dunkle Nacht nach Hause. Auch Edith, Albert und Crystal.
    «Nell nimmt sich allerhand heraus, finde ich», sagte Edith böse. «Ich glaube, hat ihnen gefallen», meinte Albert, der mit seinen Gedanken noch bei den künstlerischen Darbietungen des Abends war.
    «Alice bestimmt nicht», widersprach Edith scharf. «Aber der gefällt ja so leicht überhaupt nichts.»
     
    Alice und Walter traten in einen dunklen Torweg, in dem, wie sie von anderen Gelegenheiten her wußten, überall alte Fahrscheine, leere Zigarettenhülsen und Glasscherben herumlagen. Müde lehnte sich Alice an die Mauer. Sie hob die Arme, langsam, als wären sie mit Blei gefüllt, und legte sie Walter auf die Schultern.
    Plötzlich umschlang sie ihn heftig und preßte die Lippen so fest auf seinen Mund, daß es schmerzte.
    «Ich muß Sie bitten weiterzugehen», sagte eine Stimme und richtete den Strahl einer mit blauem Papier abgedunkelten Taschenlampe auf ihre erschreckten Gesichter. «Los, gehen Sie weiter.»
    «Herrgott noch mal!» rief Alice, als sie sich aus Walters Armen frei machte. Es klang wie ein Schrei der Verzweiflung.
    «Wir tun doch nichts Böses», protestierte Walter.
    «Ach, komm bloß mit!» rief Alice und lief los. Walter lief hinter ihr her.
    «Alice! Warte doch! Es ist doch nicht meine Schuld! Dieser verdammte Copper -»
    Sie hörte ihn gar nicht. Sie lief weiter, blindlings und atemlos. An den Stufen zum Lazarett holte er sie ein und versuchte, sie festzuhalten. «Alice! Ich konnte doch nichts dafür, ich...»
    Sie riß sich los, stürzte durch die Eingangstür, zog sich den Mantel aus und betrat, immer noch keuchend und außer Atem, den Saal 4. Die Verwundeten blickten sie an, ohne Erstaunen, ohne Interesse.
     
    Großtante Min fuhr mit der Straßenbahn nach Hause.
    «Ich dachte, das wäre Taffy Evans’ Schicht, am Sonntagabend», sagte sie harmlos lächelnd zu der jungen Schaffnerin, die ihr den Fahrschein gab und dann kopfschüttelnd sagte:
    «Den werden Sie hier nicht wiedersehen, Miss.»
    Großtante Min tat erstaunt. «Wieso? Er ist doch nicht etwa eingezogen worden?»
    «Na, dann wär der Krieg sicher bald zu Ende! Nein, entlassen haben sie ihn.»
    «Tatsächlich?» Vertraulich zwinkerte sie mit den Augen. «Aber Sie dürfen sicher nicht sagen warum, nicht wahr? Ich sollte lieber gar nicht erst fragen.» Sie kicherte und entblößte ihre verkümmerten Zähne.
    «Wegen Poussierens.»
    «Wegen Poussierens?» Min lachte genüßlich. «Na, wenn das ein Grund zur Entlassung ist, dann haben wir bald keine Schaffner mehr.»
    Die Bahn war jetzt leer, Großtante Min war der einzige Fahrgast. Sie saß als einzige auf der langen Bank und klopfte auffordernd mit der Hand auf den Platz neben sich. Die kleine Schaffnerin setzte sich zu ihr und spielte mit ihrem Fahrscheinlocher. «Ja -aber es war in der Dienstzeit», sagte sie dann und lachte verstohlen.
    «Das ist was anderes. Eine Frechheit, so was.» Sie wühlte in ihrer Handtasche. «Mögen Sie ’n Toffee?»
    «Danke. Ich bewahr’s mir auf, für später, wenn ich darf.»
    «Na klar.» Großtante Min lächelte freundlich. Sie war gerade im Begriff, die nächste Frage zu stellen, als die Bahn an einer Haltestelle hielt. «Entschuldigung», sagte die Schaffnerin und ging auf die Plattform, wo sie stehenblieb, auf ihre Uhr blickte und wartete. Großtante Min kochte vor Ungeduld. Wieder warf die Schaffnerin einen Blick auf die Uhr, dann zog sie zweimal an der Klingelschnur, und die Bahn setzte sich wieder in Bewegung. Großtante Min lächelte ihr breit entgegen und klopfte wieder einladend auf den Nebensitz; aber die Schaffnerin hatte ihren Notizblock und einen Bleistift gezückt und war

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