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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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weiches Licht, freundlich und voller Trost. Er liebte es sehr.
    Doch seine Mutter war froh über die Dunkelheit und die Nachtluft, die kühl und rein auf ihrem Gesicht lag. Mit erhobenem Kopf ging sie der leichten Brise entgegen. Wie gern wäre sie immer so weitergegangen, weg von dem harten ungütigen Haus und seinen ungütigen Bewohnern, weg von dem heuchlerischen alten Mann, dem Taffy es verdankte, daß er seine Arbeit verloren hatte - für immer. Sie wollte weitergehen, den Westwind im Gesicht, und immer weiter, bis der Weg anstieg und sie rings um sich dunkle Hügel sah, die heimatlichen Hügel, die nach Meer rochen... Wie lange war das her. Wenn sie doch noch einmal die Hügel hinauflaufen könnte, bevor sie zu alt war zum Laufen! Eine Träne rann ihr über die Wange, und das Heimweh saß wie ein Stein in ihrer Brust, im Magen, hinter den Augen. Tom hatte Wales und seine Hügel nie gesehen. Immer hatte sie sich vorgenommen, ihm alles zu zeigen, ihn stolz zu Hause vorzuführen. «Hier—das ist Da. Und dies ist Mam.» Lachen und Liebe und freundliches Willkommen. Aber Tom war tot, und Da und Mam waren tot, und mit ihnen war ihr Traum gestorben.
    Der Ruf des Zeitungsjungen hatte sich entfernt: aber plötzlich war noch ein zweiter da, in der nächsten Straße. Ganz in der Nähe. Fast zu nahe. Der Augenblick der Freiheit, des Alleinseins, des Träumens von einem unerreichbaren Glück war so süß gewesen... Aber sie wandte sich dem Jungen zu, war mit ein paar Schritten bei ihm und kaufte die Zeitung. Ihr Pflichtbewußtsein trieb sie zurück ins Haus, wo der alte Mann sicher schon auf das Blatt wartete.
     
    Er las es und fingerte verärgert an seinem Kneifer. Alle warteten. Er blickte auf und nahm das Glas ab. «Die Deutschen haben die U-Boot-Blockade aufgegeben», sagte er.
    «Ist das alles?» fragte Edith.
    «Alles?» wiederholte Opa erstaunt. Er hatte plötzlich eine beseligende Vision - Würste, wahre Wurstberge, nicht nur zwei dünne Würstchen in feuchtem Papier, die heimlich aus einer Manteltasche gezogen wurden, sondern dicke, fette Würste, die zu Gebirgen aufgebaut waren in den Schaufenstern. Und nicht nur Würste: Schinken, Säcke mit Mehl und Zucker, Butterberge, aus denen man Schlösser bauen konnte. O die Samstagabende vor dem Krieg, wenn man die Derby Road hinunterging, vorbei an den erleuchteten Schaufenstern voller Lebensmittel, Schweinefleisch und Rinderfilets und Innereien und Kalbsfüße und Schwarzsauer! Eine untergegangene Welt... Aber vielleicht könnte sie jetzt, wo die U-Boote ausgeschaltet waren, doch noch einmal wiederkommen.
    Walter war nicht sehr erfreut über die Meldung. Wenn die Mittel knapp waren, kam man als Mann mit Initiative gut voran. In normalen Zeiten konnte jeder Idiot verkaufen. Aber um sich in schlechten Zeiten etwas mehr als seinen Anteil zu sichern und genau zu wissen, welche Kunden man bevorzugen und welche man kurzhalten mußte, dazu brauchte man schon besonderes Geschick, brauchte man Talente, die im Frieden nicht benötigt wurden.
    «Das spart uns Verbandstoff und Brandbinden drüben», sagte Alice. Eine solche Bemerkung hörten die anderen nicht gern.
    «Unseren Tom bringt es nicht zurück», sagte Oma bitter. Und Opa erklärte salbungsvoll:
    «Es bedeutet sehr viel mehr, mein Kind. Es bedeutet, daß dieses Land nicht mehr am Rande einer Hungersnot leben muß.»
    «Befreit aus dem Würgegriff der U-Boote», sagte Albert. Wenn er nicht einfach zitierte, redete er gern in Schlagzeilen.
    «In diesem Haus habe ich von Hungersnot noch nicht allzuviel bemerkt», sagte Alice halblaut.
    «Ja - weil du keine Ahnung hast, mein Kind», gab Opa schnell zurück. «Du bist ja nie hier. Und du kannst mir auch nicht erzählen», dies mit einem Seitenblick auf Walter, «daß du die ganze Zeit im Lazarett bist. Wenn du dich hier mal sehen läßt, kriegst du immer was Gutes, das stimmt. Aber das haben wir uns für dich vom Munde abgespart! Du weißt nicht, wie wir uns einschränken, wenn du nicht hier bist. Frag nur Nell.»

     
    kam man als Mann mit Initiative gut voran...» Und das gilt nicht nur für Walter und nicht nur in schlechten Zeiten. Wer genug Initiative hat, der macht aus wenig viel und aus viel — einfach mehr.
     
     
     

    Schweigen.
    Nell spürte, wie Alice sie amüsiert und ironisch ansah.
    «Na, Nell?»
    «Was denn?»
    «Ich frag dich. Wie Dad gesagt hat.»
    Es hing etwas in der Luft. Der alte Mann, der sonst nicht zum Überschwang neigte, hatte erregt und mit

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