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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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Jubel begrüßt. Sollte Frank Hardy wirklich recht gehabt haben, als er sagte, zuviel Wohlleben vertrüge England nicht, die lange Friedenszeit der Viktorianischen Ära sei zuviel für das Volk gewesen, und die Gelegenheit zum Blutvergießen und Töten sei genau das, worauf die Jugend in England gewartet habe? Es sah tatsächlich so aus. Sie konnten es kaum erwarten, ein Gewehr und ein Bajonett in die Hand zu bekommen und zu lernen, wie man tötet und wie man Granaten wirft. Die wenigen, die nicht in das patriotische Geschrei einstimmten, wurden sehr bald auf den rechten Weg gebracht: überall gab es liebevolle Schwestern oder Freundinnen, die ihnen die Weiße Feder zuschickten; sogar Frauenorganisationen wurden zu diesem Zweck gegründet.
    Die Hysterie hielt nicht lange an. So großartig war es gar nicht, Menschen umzubringen, besonders wenn man bis an die Knie im Schlamm stand, wenn einen Läuse quälten und wenn einem plötzlich klar wurde, daß man erst zwanzig war und leben wollte, leben - und daß dieser Krieg die Lebenserwartung von fünfzig Jahren auf kaum fünf Tage herunterschraubte. Nein. Es war Zeit, Schluß zu machen und nach Hause zu kommen.
    Nur war das leider nicht möglich. Es gab nur einen Weg, den Krieg zu beenden: man mußte die Deutschen besiegen. Und da sich die Deutschen verrückterweise das gleiche Ziel gesetzt hatten -    nämlich die Engländer und die Franzosen zu schlagen -, und da beide Seiten an Kräften ziemlich gleich waren, kam es zu einem klassischen Patt. Als das Ende dann wirklich kam, war die Hysterie genauso groß wie 1914.
    Am Trafalgar Square in London und am Piccadilly Circus schäumte die Begeisterung über, als die Nachricht vom Kriegsende kam. Arm in Arm zogen die Menschen durch die Straßen und sangen. Taxis und Autobusse voller Soldaten und junger Mädchen und fahnenschwingender Zivilisten kurvten schwankend um die Eros-Statue. Überall sah man tanzende und jubelnde Menschen. Seit dem Mafeking-Sieg im Burenkrieg hatte London so etwas nicht mehr erlebt. Selbst die Verwundeten in den Lazaretten freuten sich: jetzt brauchten sie nicht mehr zu furchten, zu schnell zu genesen und in die Hölle zurückgeschickt zu werden.
    Nicht überall wurde so gefeiert. Nach vier Jahren Geschützlärm und Kanonendonner war die Stille an der Westfront fast wie eine Drohung. Die Männer krochen stumm durch die Schützengräben, lächelten nervös oder lachten unsicher, wenn sie auf Kameraden trafen. Es war alles zu plötzlich gekommen - es war wie die Stille vor einer neuen Offensive.
    Der Midland Bull in Ingerby, die städtische Sirene, die morgens um sieben und um acht Uhr die Männer zur Arbeit rief, hatte während des Krieges vor Luftangriffen gewarnt. Heute brachte sie eine frohe Botschaft: um elf Uhr kündigte sie den Waffenstillstand an. Kirchenglocken läuteten, die Lokomotiven der Midland Railway pfiffen schrill, und auch die Fabriksirenen stimmten in dem wogenden Nebel mit in den Lärm ein.
    Doch nicht allen Herzen brachte der laute Jubel Trost und Freude. Zu viele gab es, die einen hohen Preis für den Frieden bezahlt hatten, zu viele, die einer Zukunft entgegensahen, in der der eine Mensch fehlte, der diese Zukunft lebenswert machte. Für andere wieder war es die Stunde der Besinnung oder gar der Entscheidung. Auch Alice hörte die Glocken und Sirenen und dachte: Jetzt kommt Frank nach Hause. Ein Fremder kommt und will mich holen, ein Fremder, an den ich moralisch gebunden bin, ein selbstbewußter, überlegener Mann, für den ich keine Liebe mehr empfinde. Und Walter? Liebe ich Walter? Er ist ein guter Kerl, wenn er vernünftig ist. Es gibt, weiß Gott, schlimmere als ihn. Großzügig, lustig, amüsant. Ein hübsches kleines Geschäft. Eine Ehe mit Walter würde ein sorgloses und bequemes Leben bedeuten.
    Und was soll ich mit einem netten kleinen Geschäft, dachte sie nervös und drehte Franks Ring so schnell und heftig, daß der Finger schmerzte. Mit Frank, dem guten stillen Lehrer, hatte sie kein bequemes Leben vor sich, sondern mehr. Frank würde eine Persönlichkeit aus ihr machen, er würde ihr Mut, Entschlossenheit, Mitgefühl, Charakterstärke geben. Sie hob den Kopf. Das hatte sie alles schon, dachte sie stolz. Aber Frank würde diese Eigenschaften zur Entfaltung bringen.
    Und was konnte Walter ihr geben? Reichlich zu essen und zu trinken, Wärme, Behaglichkeit. Vielleicht sogar mehr Liebe als Frank, denn Frank war innerlich einsam und schloß sich sogar gegen die

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