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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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im Kanonendonner unterging - an Zeiten, die Frieden verhießen. Frank Hardy lauschte. Ein Vogel sang, eine Frau wartete, ein Mann, zum Umsinken müde, der sich verzweifelt nach den Armen einer Frau sehnte... und nicht ahnte, daß in diesem Augenblick in einem kleinen Lazarettzimmer in der Heimat ein anderer für ihn über Zukunft und Glück entschied.
     
    Im November wirkte Mabels kleiner Bauernhof unbeschreiblich öde und verlassen. Nebelschwaden lagen über den kümmerlichen Grasresten, die Schweine wühlten und grunzten in der Suhle, sonst hörte man keinen Laut.
    In dieses Schweigen, das schwer war von Millionen Wassertropfen und stumm wie die Glocken der versunkenen Insel Atlantis, fiel der Klang der Siegesglocken, drang der ferne Heulton der Fabriksirenen, klagend wie der Schrei der Brachvögel.
    Zeitungen kamen nicht bis ins Niemandsmoor. Aber das war auch nicht nötig - Großtante Mabel wußte, was los war. Ganz England wußte es. Sobald sie die Glocken hörte, wußte sie, daß das Unglaubliche Wirklichkeit geworden war. Sie schleuderte ihre Gummistiefel von den Füßen, tappte auf durchlöcherten Strümpfen in die Küche, schrie aus dem Fenster: «Sieg!» und nahm eine ungeöffnete Flasche Whisky und zwei Gläser aus dem Wandschrank.
    Siegfried kam herein. «Komm her, setz dich», sagte sie, füllte die beiden Gläser, gab ihm eins und stieß mit ihm an. «Armer Sieg», sagte sie mitfühlend. «Ihr habt verloren.»
    «Prost», sagte er. Ihre freundlichen kleinen Augen starrten ihn an. Wußte er eigentlich, was los war? Nun, er würde es bald genug im Lager erfahren. Und dann? Zurück ins Vaterland, sicher. Sie schenkte noch etwas Whisky nach, in jedes Glas. «Du wirst mir fehlen, Kamerad, obwohl du ein Hunne bist», sagte sie leise. «Aber du bist wenigstens ein Mann, und Männer werden jetzt knapp sein, das steht fest.»
    Siegfried lächelte und stieß mit ihr an. «Prost», sagte er noch einmal.
    Sie sah ihn an. Groß und linkisch, mit abfallenden Schultern stand er in seiner zerdrückten feldgrauen Uniform und den riesigen Stiefeln da; das Haar war kurz geschnitten, das Gesicht hager und grau vor Hunger, aber gut und freundlich. Er war ein Teil der Moorlandschaft geworden, und er würde ihr sehr fehlen, nicht nur weil er ein Mann war. Er war unbeholfen in seinen Bewegungen und Worten und hatte doch in der einsamen Frau eine seltsame Zärtlichkeit wachgerufen. Bald würde er sie verlassen, zurückkehren in ein Vaterland, das für sie eine Mischung aus preußischem Militarismus und Grimms Märchen war. Ob er eine Frau dort hatte? Und vielleicht Kinder? Sie wußte es nicht. Sie wußte nur, daß sein Fortgehen für sie Einsamkeit bedeutete. Für sie waren es Totenglocken, die da läuteten. Aber vielleicht war da niemand, der auf ihn wartete, vielleicht war das Niemandsmoor Heimat für ihn geworden... Das mußte sie wissen, jetzt gleich. Sie wollte ihn fragen, aber sie hatte keine Worte. Sie goß noch einmal Whisky nach, in beide Gläser, und trank und fühlte, wie der Alkohol ihr die Glieder wärmte und die kalte Wirklichkeit ein wenig leichter machte.
    «Frau?» sagte sie fragend. «Du - Frau?»
    Er verstand nicht. Sie nahm seine Hand, wies auf den Ringfinger und blickte ihn an. Jetzt hatte er begriffen, er nickte und sagte lachend: «Ja.»
    Ihr Herz sank. «Und Kinder? Kinder?»
    Er verstand. Mit der Hand zeigte er die Größe an: etwa drei Fuß hoch. Weiche Zärtlichkeit stand in seinen Augen. «Ja. Ein Mädchen. Ein schönes kleines Mädchen.»
    «Wie heißt sie? Ihr Name, Sieg. Name?»
    «Ulrike.»
    Er würde also zurückgehen. Eine Frau und ein kleines Mädchen warteten zu Hause auf ihn. Hier hielt ihn nichts. Sie stand auf. «Ja, mein lieber Junge, dann ist dies wohl das Ende. Ich glaube, du solltest jetzt ins Lager zurückgehen - sie werden schon auf dich warten.»
    Auch er erhob sich, legte ihr seine großen Hände auf die Schultern und küßte sie ungeschickt.
    «Du kommst doch noch mal und sagst Lebwohl?» Der Whisky und die Rührung ließen ihre Stimme schwanken.
    «Ja», sagte er mit halbem Lachen. Aber hatte er sie verstanden? Er trottete nach draußen, und sie folgte ihm mit den Augen, bis ihn der Nebel verschluckte. Die Glocken läuteten immer noch.
     
    «Warum läuten die Glocken heute?» fragte Crystal mürrisch. «Ist doch gar nicht Sonntag.»
    «Weil jetzt Frieden ist, Kind», sagte Edith.
    «Braucht man jetzt keine Bomben und Kanonen mehr?»
    «Nein, Gott sei Dank nicht.»
    «Dann

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