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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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Teilnahme entgegengebracht («Sie hat ihn ja gar nicht aufgezogen und zur Schule gebracht und gepflegt, als er Masern hatte!» hatte Oma hysterisch gejammert), aber der Kummer hatte sie verbunden. Jetzt war selbst dieses Band zerrissen, und Nell stand allein da und wußte nicht warum. Eines Abends, als sie Oma ihre Tasse Kakao gebracht hatte, kam sie mutlos und unglücklich die Treppe herunter, stellte sich vor den alten Mann hin und fragte:
    «Dad, was hab ich denn getan? Oma will nicht mehr mit mir reden. Sag mir doch, was ich getan habe.»
    Er ließ die Zeitung sinken, sah sie traurig an und sagte mit Grabesstimme: «Ich denke, du weißt selber, was du getan hast, Nell. Und hoffentlich ist dir auch klar, wie sehr du uns damit gekränkt hast.»
    «Aber ich weiß doch von gar nichts.»
    Er ging nicht darauf ein. «Schon gut, schon gut. Du kannst ja bleiben. Mutter und ich haben lange darüber gesprochen. Es ist natürlich nicht mehr so wie früher, das ist klar, aber wir haben es doch nicht über uns gebracht, dich vor die Tür zu setzen.» Und mit leiser Stimme fügte er hinzu: «Wir haben uns gefragt, was Tom wohl gewollt hätte.»
    «Und ihr glaubt, er hätte gewollt, daß ihr mich zwar hierbehaltet, mich aber überhaupt nicht beachtet, daß ihr Benbow behandelt, als wäre er gar nicht da, und daß ihr mir nicht mal sagt, was ich eigentlich getan habe?»
    Nells Stimme war immer lauter geworden, und der alte Mann rutschte unruhig in seinem Sessel hin und her. Auseinandersetzungen waren ihm verhaßt. «Hör zu, Nell», sagte er, «du hast keinen Grund, dich aufzuregen. Ich hab dir ja gesagt, daß du hierbleiben kannst.»
    «Vielen Dank. Und wenn ich nun gar nicht will?»
    Opa war tief gekränkt. Wo er so viel für sie getan hatte! Wenn sie jetzt im Zorn das Haus verließ, würde ihm seine Frau nicht nur die Schuld dafür zuschieben, sondern ihn auch zwingen, sie von vorn und hinten zu bedienen. Bloß das nicht! Er raschelte nervös mit der Zeitung und streifte Nell mit einem kurzen hilflosen Blick. «Na, Mädchen, nun mach nicht aus einer Mücke gleich einen Elefanten, hörst du. Ich werde mit Mutter sprechen.» Aber er schien zu merken, daß der scherzhafte Ton nicht angebracht war. «Um nichts in der Welt würde sie dich kränken, das weißt du», sagte er ernst. «Aber daß unser Tom gefallen ist, das war ein schwerer Schlag für sie. Das darfst du nicht vergessen, Nell.»
    «Für mich war es auch kein Spaß», erwiderte sie ruhig. Sie stand immer noch da und blickte auf den alten Mann hinunter, der mit ausgestreckten Beinen im Sessel lehnte. Sie ließ ihn nicht aus den Augen, als sie jetzt sagte: «Ich glaube fast, irgendein guter Freund hat euch was von Taffy Evans erzählt.»
    «Taffy Evans?» fragte Opa unschuldig und runzelte die Stirn. «Was hat der damit zu tun?»
    Sie wandte sich um. Als sie die Tür erreicht hatte, konnte er die Ungewißheit nicht länger ertragen. «Du bleibst doch, Nell?» fragte er flehend. «Es wäre wirklich hart für uns, wenn du jetzt gehen würdest, bloß wegen so einem Mißverständnis.»
    Mit einer Kopfbewegung, die er deuten mochte, wie er wollte, schloß sie die Tür hinter sich und stieg langsam die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Lange blieb sie im Dunkeln stehen. Von fern hörte sie eine Straßenbahn kommen, näher und immer näher. Sie hielt an und fuhr wieder weiter, klirrend und rasselnd. Als sie am Haus vorbeifuhr, kroch ein geisterhafter blauer Schein über die Decke, dann war es wieder dunkel, und auch das Geklingel hörte auf. Am Himmel suchte ein Scheinwerfer nach einem erschöpften Feind. Nell stand am Fenster, Heimweh im Herzen, geborgen im Dunkel der Nacht. Benbow regte sich im Schlaf, und die Scheinwerfer wachten über sie beide.

5
     
    An einem trüben grauen Novembermorgen, in der elften Stunde am elften Tag des elften Monats war der Krieg endlich zu Ende. Die Menschen hatten schon nicht mehr zu glauben gewagt, daß er je enden würde.
    Stahlhelme, Gasmasken, Mörser spielten auf einmal keine Rolle mehr. Die langen Mäntel der deutschen Offiziere, die Eichenblätter und gekreuzten Schwerter der Briten waren plötzlich nicht mehr wichtig. Vorbei war es mit Haß und Unmenschlichkeit und Erschöpfung und herzzerreißender Sehnsucht.
    Geblieben waren die Tränen der Mütter und Witwen, die Schmerzen der Verwundeten, die Dunkelheit hinter erblindeten Augen. Sie blieben bittere Wirklichkeit.
     
    In England hatte man den Kriegsausbruch 1914 mit geradezu hysterischem

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