Und der Wind bringt den Regen
erwartet auch keinen», sagte Opa bitter. «Aber ein bißchen Rücksicht...»
«... und Respekt für die Toten.»
«Der Krieg hat die Menschen selbstsüchtig gemacht, Lizzie.»
«Nie hätte ich das für möglich gehalten. Toms Witwe! Für mich ist der Junge noch so lebendig -»
Die Türglocke schnitt die Unterhaltung ab.
Die beiden Alten blickten sich an. «Laß sie rein», sagte Opa. Oma nahm eine Kerze, ging zur Haustür und öffnete sie. Nell hatte den schlafenden Benbow auf dem Arm. Sie sah verängstigt aus, was ihre Schwiegermutter in dem Vorhaben bestärkte, ihr gründlich die Meinung zu sagen. Doch bevor sie dazu kam, tauchte noch jemand aus dem Dunkel auf: Alice.
Oma war enttäuscht. Sie hatte sich ein paar Bemerkungen zurechtgelegt, die Nell tief verletzt hätten, ohne ihr eine Handhabe zur Erwiderung zu geben. Und nun war Alice da und nahm ihr den Wind aus den Segeln. In Alices Gegenwart nahm sich die Mutter sehr in acht, was sie sagte, denn Alice hatte so eine Art, das Gesagte zu wiederholen, und dann hörte es sich auf einmal sehr dumm oder sehr häßlich an. Deshalb wählte Oma den zweitbesten Weg: sie nahm gar keine Notiz von Nell und lächelte ihrer Tochter liebevoll zu. «Nanu, Alice - das ist aber eine hübsche Überraschung», sagte sie.
«Ja, das dachte ich mir», sagte Alice, schob Nell vor sich ins Haus und trat mit munterem Lächeln ebenfalls ein. Sie legte ihrer Schwägerin die Hand auf die Schulter und sagte: «Du kennst doch wohl Nell, Mutter, nicht wahr?»
«Na, hör mal — klar kenne ich sie.» Oma zog es vor, auf den scherzhaften Ton einzugehen, obgleich sie wußte, daß die Frage nicht scherzhaft gemeint war.
Sie gingen ins Wohnzimmer. Opa war erleichtert, als er Alice erblickte. Wäre er mit Oma allein gewesen, hätte er sich gezwungen gesehen, Nell wegen ihres unerhörten Benehmens zur Rede zu stellen, und das hätte er sehr ungern getan. Aber wenn Alice dabei war — das wußte er so gut wie seine Frau -, dann war das unmöglich; er war also aus der Klemme. «Na so was, Alice!» rief er. «Nell, mach ihr schnell eine Tasse Tee. Und mir kannst du auch gleich eine mitmachen.»
«Bring du den Jungen zu Bett, Nell», sagte Alice bestimmt. Dann wandte sie sich an ihre Eltern. «Ich will keinen Tee. Nicht nach dem Whisky.»
Ein unterdrückter Ton kam von Nell — war es ein verhaltenes Lachen? Als sie aus dem Zimmer ging, warf sie den beiden Alten einen Blick zu. Beide bemühten sich, Schreck und Entrüstung unter freundlichem Begrüßungslächeln zu verbergen. Vom Flur her kam noch einmal der gleiche Ton - ein Schluckauf, oder wieder verhaltenes Lachen? Opa erhob sich und schloß die Tür. «Hat sie etwa auch was getrunken?»
«Natürlich. Heute ist Waffenstillstand.»
«Natürlich kann ich das nicht finden», sagte Oma streng. «Dein Vater und ich haben nichts getrunken.»
«Ja, das kann ich mir vorstellen», sagte Alice und lehnte sich in ihren Sessel zurück. «Ich hab eine Neuigkeit für euch.»
Beide blickten sie argwöhnisch an. Sie schätzten keine Neuigkeiten, denn meistens waren es doch nur schlechte Neuigkeiten. «Nell und Taffy Evans wollen heiraten», sagte Alice.
Sie starrten Alice an, schweigend. Ihre Lippen bewegten sich, sie suchten nach einer Erwiderung auf diesen Donnerschlag. Oma faßte sich zuerst. «Nicht solange sie in diesem Hause lebt», sagte sie grimmig und faltete die Hände über dem Leib.
Alice sagte nichts.
«Toms Frau», sagte Opa mit schmerzlicher Stimme. «Geht hin und heiratet diesen - diesen Windhund.»
«Wohnt er nicht im Asyl?» fragte Oma giftig. «Wie stellt sie sich das vor - wo wollen sie überhaupt leben?»
Alice blickte sie erstaunt an. «Na, hier natürlich, Ma.»
Dieses Schweigen dauerte noch etwas länger als das vorige. «Hier?» fragte Opa konsterniert. «Du meinst hier, in diesem Haus?»
«Ja, klar, das meine ich.»
«Du meinst — beide? Du meinst, sie würde ihn mit hierherbringen?»
«Nun hört mal zu», sagte Alice. «Ich hab mir schon alles überlegt. Taffy hat mal bei einem Möbelpolsterer gearbeitet, wie ich heute abend festgestellt habe.»
«Ja, das kann ich mir denken», entgegnete ihre Mutter böse. «Der hat sicher schon vieles gemacht - fünf Minuten lang», fugte sie bissig hinzu.
«George hat doch immer gesagt, er will aufhören, sobald der Krieg zu Ende ist. Taffy könnte sich also hier sehr nützlich machen - nützlicher als der gute alte George. Und Nell könnte weiterhin für euch sorgen.»
Der
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