Und der Wind bringt den Regen
Sägemehl und Holzspänen war verschwunden. Alles lag an seinem Platz, geordnet und übersichtlich. Und mitten im Raum stand ein wunderschönes rotes Spielzeugauto, genau die richtige Größe für Benbow.
«Taffy!» rief Nell beglückt und legte ihm den Arm um die Taille. «Hast du das etwa gemacht? Für Weihnachten?»
Er nickte grinsend und schlug sich auf die Brust. «Ja - so dumm ist er gar nicht, dein Ehemann.»
Sie umarmte ihn. «Wie wird er sich freuen, der Junge! Ich danke dir, Taffy, ich danke dir, Lieber.» Ihr kamen die Tränen, so glücklich war sie. Sie und Benbow waren nun nicht länger verwaist, sie hatten einen liebevollen Mann und Vater, der mit ihnen Weihnachten feierte.
Edith hielt ihr Wort und kam nicht ins Haus, «solange der Kerl dort war», aber das machte niemandem etwas aus. Alice und Walter kamen auch weiterhin jeden Sonntagabend, aber diese Abende waren nicht mehr wie früher. Schluß war mit der Nacht der Sorgen und der Schmerzen. «Ach nein, das ist doch so traurig, nicht wahr, Ma?» Und schon saß Taffy auf dem Klavierhocker, griff mit beiden Händen in die Tasten und ließ Auf zum guten Kampf ertönen oder Vorwärts, christliche Soldaten, und sein klarer Tenor führte sie durch alle Verse. Hätte ein anderer ihr das zugemutet, wäre Oma glatt umgefallen. Aber Taffys Neckereien — immer höflich, niemals dreist - ließen sie geradezu aufblühen.
Und Nell — Nell war im siebenten Himmel, den sie für immer verloren geglaubt hatte. Keine Edith, kein Albert mehr; statt dessen ein Stückchen Wales, und dazu die schöne klare Singstimme.
Es war fast wie früher. Als sie Taffy in der bescheidenen kleinen ’ Baptistenkapelle ihr Jawort gab, war sie immer noch unsicher gewesen. Aber jetzt liebte sie diesen Mann, der seine Fehler und Schwächen nicht verheimlichte, sondern sie ihr ganz offen zu Füßen legte — und seine Liebe dazu.
Und er schenkte ihr noch etwas; Lachen. Sie hatte das Lachen fast verlernt gehabt, jetzt lernte sie es von neuem. Sie schob sich das Haar aus der Stirn, warf den Kopf zurück und lachte laut und strahlend. Bis Oma gekränkt das Gesicht verzog und alle Fröhlichkeit auslöschte. Man durfte die Toten nicht tot sein lassen.
Nell begann sogar zu träumen. Natürlich versorgte sie die bei- i den Alten weiterhin - das war selbstverständlich. Solange sie am I Leben sein würden, konnte Nell nie mit Taffy allein sein, nicht: mal in ihrem Schlafzimmer, denn da war auch Benbow. Aber die; beiden würden ja nicht ewig leben. Und da sie keinen Sohn mehr hatten, könnte - vielleicht - Taffy das Geschäft für die Töchter weiterführen. Dann könnte sie mit Taffy ein kleines Häuschen mieten, ein bescheidenes Reihenhaus vielleicht, mit einem gemütlichen Wohnzimmer, einer Küche mit Spülstein und Wasserhahn und Kessel, mit einem ganz kleinen Garten, wo man die Wäsche aufhängen konnte, mit einem eigenen Zimmer für Benbow und einem Schlafzimmer für sie beide ganz allein. Ein winziges Königreich. So weit war es natürlich noch lange nicht. Aber es lohnte sich, darauf zu warten.
Nur Benbow sah der Zukunft mit etwas gemischten Gefühlen entgegen. Er hatte immer noch seine Zweifel, ob Mam überhaupt noch mal heiraten durfte, wo sie doch mit Dad verheiratet gewesen war. Aber er sagte lieber nichts dazu; die Erwachsenen mußten schließlich wissen, was sie taten. Widerspruchslos ließ er sich in seinen Matrosenanzug und den blauen Mantel mit den Messingknöpfen zwängen, die spitze Mütze mit dem Goldstreifen auf den Kopf setzen, und ging dann treu und brav wie ein zuverlässiger Bernhardiner mit seiner Mam (dunkelblaues Jackenkleid mit Chrysanthemensträußchen im Knopfloch) in die kahle hallende Baptistenkapelle, wo sie und Taffy Evans bei einer Temperatur von zwölf Grad getraut wurden. Von der Familie war natürlich niemand gekommen, das wäre wohl auch zu viel verlangt gewesen; nur Nells Cousine Vanwy war (mit verbilligter Tageskarte) aus Wales gekommen, um Brautjungfer zu spielen. Sie lächelte ihr undurchsichtiges Lächeln und fuhr nachmittags wiederheim. Auf dem Bahnhof küßte sie Benbow zum Abschied, küßte auch den neuen Vetter, etwas ausführlicher, und zuletzt noch, eilig und kurz, die Cousine Nell. Dann aßen sie - unerhörter Luxus - zu dritt im Café Boots: Schollen mit Chips, hauchdünne Weißbrotscheiben mit Butter und Tee für Taffy und Nell, ein Spiegelei und Brause für Benbow. Nell strahlte Taffy schüchtern an, sie hatte das Gefühl, jeder im
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