Und der Wind bringt den Regen
alte Mann rutschte unruhig in seinem Sessel hin und her. «Soll ich das wirklich so verstehen, Alice, daß du meinst, Taffy Evans sollte Georges Stelle einnehmen, in meiner Werkstatt?»
«Und Toms Stelle in unserem Haus?» Omas Zorn ertrank in Tränen.
«Allerdings. Er wird ja auch Toms Stelle in Nells Bett einnehmen.»
Die beiden Alten schnappten nach Luft wie zwei Schwimmer in hoher See. Betten waren zum Schlafen da. Der Gedanke, daß sie auch anderes bieten könnten, war vulgär und peinlich.
«Siehst du gar nicht, wie du deine Mutter aufregst, Alice?» fragte Opa ärgerlich.
Alice war der Ansicht, etwas Aufregung könne ihrer Mutter nur guttun. «Ich finde, die Sache hätte für alle etwas Gutes», erklärte sie und setzte, vom Whisky ermutigt, zufrieden hinzu: «Ich glaube, es war eine gute Idee von mir.»
Immer noch ungläubig fragte Opa: «Du glaubst doch nicht wirklich, daß wir ihn hier im Haus haben wollen?»
«Nur über meine Leiche», schluchzte Oma, und der Gedanke an ihre eigene Leiche brachte die Tränen erst richtig zum Fließen.
«Na schön - wenn du meinst», sagte Alice gelassen. «Aber wer soll sich dann um euch kümmern?»
Sie starrten sie an — zwei klägliche, hilflose alte Leute. Dann faßte Oma Mut und sagte: «Wenn man zwei Töchter hat, sollte das kein Problem sein.»
«Und an welche Tochter denkst du?» fragte Alice. «Vielleicht an Edith? Sie muß ja wohl an der Schule bleiben, um den lieben Albert zu unterstützen, denn mit seiner Munitionsfabrik ist es jetzt wohl aus. Und selbst wenn das nicht zuträfe, kann ich mir, verdammt noch mal, nicht vorstellen, daß sie euch zu sich nähme.»
«Bitte, laß das Fluchen, Alice», sagte Oma. Ihr reichte es jetzt.
«Mutter und ich», sagte Opa, «wir hatten immer gedacht, wenn der Krieg zu Ende ist... nun, wir hatten gedacht, du und Frank, ihr würdet zu uns ziehen. Du bist hier immer willkommen, Alice.»
«Oja, das glaube ich. Frühstück machen. Den ganzen Tag Tee aufgießen.» Sie holte tief Luft. «Wißt ihr eigentlich, was ich heute gemacht habe, seit euer kostbarer Waffenstillstand ausgerufen wurde? Ich habe gesehen, wie ein junger Mann starb, wie einem der Fuß abgenommen wurde und einer sein Augenlicht verlor. Alles nette Jungens — liebe englische Jungens.»
Ihre Eltern sahen sie verwirrt an. Sie begriffen nicht, worauf sie hinauswollte. «Du möchtest also nicht zu uns kommen, Alice?» fragte Opa zaghaft.
«Nein — ich könnt’s nicht, Dad. Ich würde ersticken. Ihr müßt euch also entscheiden, wen ihr haben wollt: Nell oder niemand.»
«Lieber nehm ich ’ne bezahlte Hilfe», sagte Oma grimmig.
«Oja - bezahlen müßtest du, und nicht zu knapp», sagte Alice. «Die Frauen haben in den Munitionsfabriken nämlich nicht schlecht verdient, die geben sich nicht mehr mit einem Trinkgeld zufrieden.»
Unsicherheit und Hilflosigkeit standen in den Augen der beiden Alten. Es war schrecklich, wenn man alt war und abhängig.
«Du könntest doch überhaupt nicht mehr die Wäsche machen», fuhr Alice mitleidlos fort, «und dann die Kocherei und das Saubermachen... das würde dich umbringen, Ma. Und was soll Dad dann machen? Selber kochen und Hemden waschen?»
Man hätte nicht sagen können, wer jetzt bestürzter war: Oma bei dem Gedanken an ihr baldiges Ableben, oder Opa bei dem
Gedanken an seine Kochkunst. Alice beobachtete sie und dachte: da sitzen sie nun wie zwei Häufchen Unglück — warum war ich eigentlich so hart mit ihnen? Bestimmt nicht nur Nells wegen, das wußte sie. Warum hatte es ihr auch noch Spaß gemacht, mit ihnen zu spielen wie eine Katze mit zwei hilflosen Mäusen? Denn es hatte ihr Spaß gemacht - mächtig sogar. Frank hatte einmal gesagt, der Alkohol steigere die Hauptwesensmerkmale eines Menschen, er mache die Gutherzigen noch gutherziger, die Zänkischen noch zänkischer. Ich bin offensichtlich kein netter, angenehmer Mensch, dachte sie, und der Whisky hat mich noch bissiger gemacht.
Nell setzte Benbow auf sein Bett. Er fiel wie ein Mehlsack um. «Komm, Liebling, wach auf», bat sie. «Ausziehen, komm.»
Er öffnete die Augen einen Spalt, blinzelte, ohne etwas zu sehen, und machte die Lider wieder zu. Mühsam hielt sie ihn aufrecht und plagte sich mit den Knöpfen seines Matrosenmantels ab. Er sackte immer wieder um. Endlich hatte sie ihm sein Nachthemd übergestreift, fuhr ihm mit dem Waschlappen einmal über das kleine Gesicht und legte ihn ins Bett. Sie saß auf der Bettkante und blickte ihn
Weitere Kostenlose Bücher