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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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ärgerten ihn immer. Noch sechs Monate, hatte er Alice geschrieben, und nun würde er sie in weniger als sechs Tagen sehen! Er blickte sich um, ohne etwas zu sehen. Seine Sachen - er mußte wohl seinen Burschen zum Packen rufen. Und wenn Alice nun über Weihnachten Dienst hatte und nicht frei bekam? Ach was, dann blieb er eben bei ihr im Lazarett. Da würde man ihn schon unterbringen, egal wie und wo. Essen und Schlafen spielten keine Rolle. Es war nur eins wichtig: Alice.
    Er mußte ihr Nachricht geben. Er ließ die zusammengesuchten Sachen liegen und lief zur Feldpoststelle. Dort gab er ein Telegramm auf an Schwester Alice Dorman, Saal vier, Lazarett Ingerby. Wann kam er in London an? Er sah in den Reisepapieren nach: Heiligabend, um zehn Uhr. Um diese Zeit fuhr bestimmt kein Zug mehr nach Ingerby. Auch am ersten Feiertag fuhren sicher nicht viele Züge. Aber, er würde schon hinkommen - irgendwie würde er hinkommen, und wenn er zu Fuß gehen mußte. Ach Unsinn - dazu brauchte er mindestens dreißig Stunden, ohne Pause.
    Ihm fiel noch etwas ein, und wieder merkte er, daß er zitterte. Sollte er Alice bitten, ihm nach London entgegenzukommen? Weihnachtsabend mit ihm in London zu verbringen? Sie hätten dann noch einen Tag mehr.
    Aber man konnte ein Mädchen nicht darum bitten, allein nach London zu fahren. Auch nicht, wenn man mit ihr verlobt war. Zu zweit in London - in einem Hotel? Ausgeschlossen. Man durfte ein Mädchen nicht in die peinliche Lage versetzen, eine solche Bitte abzuschlagen. Sie würde ihn verachten. Schlimmer noch: er würde sich selber verachten.
    Allein in London - mit Alice. Nur sie beide, irgendwo in einem kleinen ruhigen Hotel. Nach vier Jahren - ihr Lächeln zu sehen, ihre gestikulierenden Hände, mit denen sie bestimmte Worte unterstrich. Zu sehen, ob sie sich verändert hatte in diesen vier Jahren. Ihre Stimme zu hören - Herrgott! Den Duft der Haare zu riechen. Er stieß die Feder ins Tintenfaß und schrieb: «Weihnachtsurlaub stop ankomme Victoria vierundzwanzigsten zehn Uhr abends kannst du kommen und über Feiertage London bleiben alles Liebe Frank.»
    Der Feldwebel im Postamt las das Telegramm und grinste mit kaum verhohlenem Neid. Er kannte Leutnant Hardy. Streng, aber gerecht - ein Mann, bei dem man sich besser keine Freiheiten herausnahm. Reichlich ehrbar und tugendhaft. Der hatte also ’ne Krankenschwester als Freundin und wollte mit ihr ein Wochenende in London verbringen! Sieh an, die Offiziere...
    Frank brachte das Grinsen des Mannes sehr schnell zum Verschwinden. Aber er mußte sich eingestehen, daß er es verdient hatte. Unruhig kehrte er in sein Quartier zurück. Wenn sie nun verärgert zurücktelegrafierte? Oder wenn sie zu spät an der Victoria Station ankam, ihn um Minuten verpaßte und er noch einen Zug in St. Pancras erwischte und sie allein in London zurückblieb? Schrecklicher Gedanke. Oder wenn sie - wenn sie tatsächlich an der Victoria Station auf ihn wartete, eine große schlanke schöne Frau, und er - er hatte noch den Geruch der Schützengräben an sich - den Geruch, den kein Mann je wieder loswurde?
    Der Mann, in den sich Alice damals verliebt hatte, war ein stiller nachdenklicher Lehrer gewesen. Jetzt kam ein Mann zu ihr zurück, der sein Bajonett schreiend in lebendige Menschen gestoßen und Granaten in vollbesetzte Gräben geworfen hatte: nicht aus Haß oder aus Rachegefühlen, nicht einmal aus Mitleid, sondern nur, weil man es ihn gelehrt hatte, weil sein neuer Beruf das erforderte. Sie war eine Frau, die vier Jahre lang Schmerzen gemildert hatte; er hatte vier Jahre lang anderen Schmerzen zugefügt. Es gab nur wenige Menschen im Jahre 1918, die die blutige Ironie dieser Situation erkannten. Frank Hardy erkannte sie, und sie machte ihm angst.
    Der Zug dampfte über die verwüsteten Felder Frankreichs — nach Hause - nach Hause.
    Das Fährschiff brachte ihn an die Küste der Heimat. Wie ein Schlachtroß stieg es hoch, ließ sich zurückfallen in die Wogen und pflügte sich keuchend durch den Weststurm. Und unaufhörlich sang es: Nach Hause - nach Hause. Dann saß er im Zug, der durch
    Kent jagte, und dachte auch hier nichts anderes als: Nach Hause - nach Hause. Frank blickte aus dem Fenster und sah in die Finsternis; die Landschaft draußen hätte auch Indien oder Amerika sein können, aber es war die Heimat. Land meiner Väter, Heimat von Männern wie Shakespeare und Rupert Brooke, Land der Toleranz und der Ruhe. Sein Herz war übervoll. Draußen lagen

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