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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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durch die Morgenstunden dieses ersten Weihnachtstages 1918. Frank Hardy sah vom Abteilfenster aus, wie der Zeiger auf neun Uhr rückte. Ein schriller Pfiff, der Mann auf dem Bahnsteig schwenkte die Signalfahne, die Lokomotive ließ zischend Dampf ab, und der Zug setzte sich langsam in Bewegung. Noch bevor Frank die Uhr aus den Augen verlor, war der Zeiger auf neun Uhr eins gerückt - eine weitere Minute des kostbaren Urlaubs war dahin. Er schloß das Fenster und setzte sich. Draußen war es kalt, und auch im Abteil, obwohl es nach heißem Metall und Dampf roch. Plötzlich bemerkte er, daß der Zug nicht mehr sang: Nach Hause, nach Hause. Eine Ahnung von Unheil überkam ihn...
    Nach der Ankunft in Ingerby ging er sofort ins Lazarett in den Saal vier. Aber irgendwie wußte er, daß sie nicht da war.
    Der Saal war nicht mehr voll belegt; er sah mehrere leere Betten. Die von der Decke hängenden bunten Papierstreifen und Lamettareste konnten den Eindruck nicht verwischen, daß es ein Krankensaal war - Scharpie und Verbandmull waren stärker als Lametta und Buntpapier. Die Stationsschwester erschien. Nein — Schwester Alice Dorman hatte keinen Dienst, wo sie augenblicklich war, konnte die Kollegin leider nicht sagen. Ja, es war ein Telegramm gekommen, aber da war Schwester Alice schon fort gewesen, und man hatte nicht gewußt, wohin man es nachsenden sollte. Frank war überzeugt, daß die Stationsschwester das Telegramm gelesen und ihre Schlüsse daraus gezogen hatte: wieder ein ausgehungerter Soldat, hatte sie vermutlich gedacht. Der Gedanke war ihm verhaßt.
    Er ging. Es war jetzt zwölf Uhr - sein Urlaub verrann und hatte doch noch gar nicht angefangen. Aber zu Hause mußte sie ja sein. In ein paar Minuten würde er vor ihr stehen. Sein Atem ging in flachen hastigen Zügen.
    Der Laden kam in Sicht, das Schild: Wm. Dorman, Möbelanfertigung. Daneben, spießig und gernegroß, «Haus Omdurman».
    Er wagte nicht zu hoffen, daß sie ihm die Tür öffnete. Sie würden sich also in Gegenwart der anderen begegnen und sich kaum etwas sagen können, nur ein paar formelle Worte. Der Gedanke, seine paar kostbaren Stunden in nichtiger Unterhaltung mit ihrem Vater verbringen zu müssen, während Alice in der Küche half, machte ihm angst.    t
    Er ließ das Haus nicht aus den Augen, und als er die Hand zum Klopfen ausstreckte, zitterte sie. Er hörte Schritte im Flur -Schritte einer jungen Frau. Die Sicherheitskette rasselte, der Riegel wurde zurückgeschoben, der Schlüssel umgedreht. Er wollte rufen: «Mach schnell - mach schnell, ich bin’s, Frank, mein Urlaub ist schon halb vorbei!», aber er schwieg und hielt den Atem an. Die Tür wurde spaltbreit geöffnet. Sie klemmte etwas (schon seit Jahren), weil sich eine Kachel im Boden gelöst hatte. Eine Frauenhand griff um die Tür und zog sie ganz auf. Nicht Alices Hand. Es war nicht Alice, die vor ihm stand.
     
    Nell erstarrte vor Schreck.
    Der Frank Hardy, den sie gekannt hatte, war ein liebenswürdiger, gutaussehender junger Mann gewesen. Jetzt stand sie vor einem ausgemergelten, harten, fremden Mann - aber sie erkannte trotzdem in ihm den alten Frank Hardy. Frank Hardy, der Verlobte von Alice; und Alice, das hatte Nell gerade erfahren, war über Weihnachten mit Walter verreist!
    Sie mußte Alice schützen. Und vor allem mußte sie Frank den Schmerz ersparen. Doch Schnelldenken war etwas, was sie nie gelernt hatte, und dies hier war zu plötzlich gekommen. «Frank!» sagte sie atemlos. «Frank Hardy!»
    «Ist Alice hier?» fragte er, und seine Lippen waren gespannt, als sei ihm der Mund ausgetrocknet.
    «Nein. Sie ist — mit einer Freundin über Weihnachten weggefahren. Mit einer der Schwestern.»
    «Weggefahren - sie ist also gar nicht in Ingerby?»
    Nell nickte.
    Es gelang ihm unter Aufbietung seiner ganzen Willenskraft, ein gleichmütiges Gesicht zu machen. Nell stand vor ihm und dachte fieberhaft nach. Er durfte es nicht wissen, auf keinen Fall. Wenn sie ihn ins Haus bat, fand sich bestimmt ein freundlicher Mitmensch, der ihm alles sagte. Aber konnte sie ihn einfach gehen lassen, allein, am Weihnachtsmorgen? Das mußte ihn doch argwöhnisch machen.
    «Wo ist sie hin?» fragte er so unbeteiligt, als erkundige er sich nach einer beiläufigen Bekannten.
    «Ich weiß es nicht, Frank», erwiderte sie schnell. «Irgendwo an die See, glaube ich, aber ich weiß nicht wo.»
    «Ob sie es wissen, da drinnen?» Er machte eine Kopfbewegung auf das Haus zu.
    «Nein. Sie hat’s

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