Und der Wind bringt den Regen
Walter. Ich bin mit Frank verlobt. Und im Sommer werde ich ihn heiraten.»
«Warum im Sommer?»
«Weil er nicht vorher kommen kann. Aber wenn er kommt, dann heiraten wir.»
«Um so mehr Grund, nach Scarborough zu fahren. Ich dachte, du erwartetest ihn jeden Tag.»
Sie schwieg. Vier Jahre lang Blut und Eiter und Erbrochenes und Männer, die sich vor Schmerzen wanden; vier Jahre lang Arbeit und Müdigkeit und Verantwortung, vier Jahre, in denen sie Schwache und Verzagte stärken und Verzweifelten Kraft geben mußte. Vier Jahre ohne den Mann, den sie einst liebte, vier Jahre Trübsal, erhellt nur zuweilen von dem Mann, den sie innerlich verachtete. Sie sehnte sich nach Ruhe, nach Behagen und fröhlichen Stunden. Aber es wäre unrecht. Ihre puritanische Erziehung ließ es nicht zu.
«Ich kenne da ein nettes Hotel», sagte er. «Kaminfeuer im Schlafzimmer, Wärmflaschen in allen Betten, und morgens bringen sie einem das Frühstück ans Bett, wenn man will.»
Alice hatte noch nie in einem Hotel gewohnt. Sie sah weiße Laken vor sich, die nach Lavendel dufteten, hübsches Geschirr auf einem kleinen Tablett. Sie hatte hübsche Dinge gern. Aber Unrecht blieb Unrecht. «Ich kann’s nicht, Lieber», sagte sie sanft.
«Na gut», sagte er lässig. «Ich finde schon jemand anderes.»
In plötzlicher Angst blickte sie ihn an. Weihnachten bei den Eltern, in dem dunklen Braun und Grün, das so deutlich die Seelen der Bewohner widerspiegelte; ein streng geregeltes Fest, bei dem sie die ganze Zeit an das freundliche Scarborough denken würde - an die aufmerksamen Kellner, den Luxus, an den Spaziergang am Weihnachtsmorgen am einsamen Strand, an die Vorfreude auf den festlichen Puter... Kein Geschirrspülen, kein Vorwurf jedesmal, wenn sie sich eine Zigarette anzündete, keine unablässigen Nörgeleien über Bagatellen... «Gut, ich komme mit, Walter», sagte sie ergeben.
«Zu gnädig», sagte er deutlich verschnupft. «Also gut, ich bestelle das Zimmer.»
Auch Großtante Mabel kam nicht zum Fest.
Sie hatte es sich lange überlegt. Siegfried war noch im Lager. Aber nächstes Jahr war er bestimmt.nicht mehr da. Sollte sie dieses letzte Weihnachten mit Siegfried und Whisky feiern, oder mit Will und Lizzie Dorman und Ingwerbrause? Wenn sie bei Siegfried blieb, würde Lizzie gekränkt sein und heulen, und Will würde große Töne reden. Ging sie zu ihnen, so würde sie es vielleicht ihr Leben lang bedauern, die letzten Stunden nicht mit Siegfried verbracht zu haben. «Ach, zum Teufel», sagte sie sich am Weihnachtsabend, ging in den Hof, fing einen Hahn ein, drehte ihm kraftvoll den Hals um und rupfte ihn, daß die Federn flogen. Zu Siegfried sagte sie: «Du kommst doch tagmorrow, ja?»
«Ja», sagte er und lachte.
Er kam tatsächlich und fand Mabel, mit einer mottenzerfressenen Fuchsstola und den üblichen Gummistiefeln, am Herd, wo der Hahn bruzzelte. In der Küche hingen leicht verstaubte Papiergirlanden. Der Tisch war gedeckt, Gläser standen bereit und ebenso die Whiskyflasche.
Doch diesmal ergriff Siegfried die Initiative: er lachte über das ganze Gesicht, als er Mabel eine Flasche überreichte. Sie beäugte sie mißtrauisch.
«Was ist denn das, Sieg?»
«Enzian.» Stolz schenkte er ihr ein, und sie trank einen Schluck. Es schmeckte irgendwie nach Erde. «Bißchen muffig, finde ich, Lieber. Ist er auch noch gut?»
«Ja. Sehr gut.» Er hatte auch sich selbst ein Glas eingeschenkt und stieß jetzt mit ihr an.
Mabel nahm einen tiefen Schluck. Ja, muffig schon. Modrig. Aber es war was dran. Sie hielt ihm ihr Glas zum Nachschenken hin. Sie fühlte es warm und wohltuend durch ihre Kehle rinnen. Der graue Dezembertag war plötzlich gar nicht mehr so grau. Sie holte den Hahn aus dem Herd, er war braun und knusprig, und machte sich energisch ans Tranchieren. Sie füllte zwei große Teller mit Fleisch, Kartoffeln, Rosenkohl, Rüben und Sauce, und Siegfried füllte die Gläser. Sie aßen und tranken mit großem Appetit. Danach half er ihr beim Abwaschen, und sie zerbrachen zwei Teller und ein Glas und schaufelten unter großem Gelächter die Scherben in den Mülleimer. Dann schoben sie das alte Roßhaarsofa näher an den bescheidenen Gaskamin und legten Kastanien auf den Rost. Er brachte ihr Stille Nacht bei, und sie lehrte ihn Old Macdonald had a Farm, was er offenbar für ein Weihnachtslied hielt, denn er sang es ernst und feierlich. Draußen schob sich die Dämmerung näher an den einsamen kleinen Hof, und das einzige
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