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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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und munter, hauchte sie auf ihre faltigen, grauen Finger, als sie die Fausthandschuhe ausgezogen hatte. «Fröhliche Weihnachten,
    Will. Fröhliche Weihnachten, Lizzie», rief sie und entledigte sich mehrerer Lagen Wollsachen, ehe sie ins Wohnzimmer kam. «Nanu, wo sind denn die andern? Wo ist Edith?»
    «Konnte nicht kommen. Weil er hier ist», vertraute ihr Oma flüsternd an.
    «Ach so.» Min verstand; doch die schlauen kleinen Augen sahen auch die anderen leeren Stühle, und vor allem spürte sie, daß ihre Schwester Lizzie wie auf Kohlen saß. Sie wußte, an diesem Weihnachtsfest würde sie auf ihre Kosten kommen. Nur nichts übereilen — sie hatte Zeit. «Na, Benbow, was hat dir denn der Weihnachtsmann gebracht?» fragte sie süß.
    «Ein Auto», erwiderte Benbow stolzgeschwellt. «Wo ich drin sitzen kann.»
    «Na so was!» Sie hielt die Finger nahe ans Feuer. «So ’n kaltes Fest haben wir lange nicht gehabt.»
    «Bloß gut, daß wir Kohlen haben», sagte Oma.
    «Furchtbar kalt», meinte auch Opa.
    «Glatt zum Erfrieren», sagte Min. Damit war für sie die Ouvertüre beendet, jetzt konnte der nächste Spaß beginnen. «Wo ist denn Mabel?» fragte sie.
    «Konnte nicht vom Hof weg. Sagt sie jedenfalls», gab Oma leicht gereizt zur Antwort.
    Min setzte ein vielsagendes Lächeln auf, sagte aber nichts. Sie genoß die Aussicht auf weitere Sensationen und ebenso den Anblick ihrer Schwester, die ihr vorkam wie eine Katze auf dem heißen Blechdach. Min blickte aus dem Fenster und fragte beiläufig: «Und Alice ist sicher im Lazarett, was?»
    «Sie ist sehr gewissenhaft», sagte Opa mit einem Seufzer.
    «Ja. Sehr», stimmte Min zu.
    Lizzie Dorman saß da und bewegte rastlos die Hände im Schoß. Plötzlich preßte sie sie zusammen und ließ sie auf die Schenkel fallen. «Sie ist ja gar nicht im Lazarett. Sie ist verreist, mit diesem— diesem Walter. An die See sind sie gefahren. >>
    «Nein?» rief Min laut und machte ein Gesicht, als sei ihr soeben der Tod eines nahen Verwandten mitgeteilt worden.
    Auch Nell hatte nichts davon gewußt. «Ist das wirklich wahr, Mutter?» fragte sie erschrocken.
    «Ich nehme an, es ist nichts dabei - ich meine, was Unrechtes würde Alice nie tun.» Omas Stimme klang nicht ganz fest. «Aber es sieht sehr merkwürdig aus.»
    «Ja. Sehr merkwürdig», gab Min begeistert zu.
    Auch Benbow fand das komisch. Weihnachten an der See - da fuhr man doch im Sommer hin und nicht mitten im Winter.
    «Ich finde, Will hätte ein Wort mit ihr reden müssen», meinte Oma.
    Nell war entsetzt. Wie konnte Alice so was tun! Sie war mit einem Mann wie Frank Hardy verlobt - und verreiste mit so einem Kerl! Nell war sich klar darüber, daß sie es bisher immer vermieden hatte, zu Alices Affäre Stellung zu nehmen. Jetzt war sie dazu gezwungen, und was sie da sah, verursachte ihr Übelkeit.
    Es klopfte an der Haustür. «Geh mal hin und sieh nach, Nell», sagte Opa.
    «Das ist sicher Taffy», sagte sie im Hinausgehen. Sie hatte ihren Mann eine halbe Stunde nicht gesehen und freute sich, daß er kam. Sie war immer froh, wenn Taffy kam. Sie öffnete die Tür und sagte: «Komm rein, Lieber. Das Essen ist—»
    Es war nicht Taffy. Vor ihr stand ein hochgewachsener Mann in Leutnantsuniform, der sie anstarrte wie einen Geist. «Nell-das ist ja Nell Griffiths - Nell Dormán», verbesserte er sich. Er schwankte vor Müdigkeit. «Nell — es tut mir so leid — mit Tom.» Aber das konnte warten. Die nächste Frage war dringender. Er holte tief Atem. «Ist Alice hier?»
     
    «Wir haben nichts zu tun für die Leute», hatte der Hauptmann erklärt. «Könnten wir nicht einige über Weihnachten auf Urlaub schicken?»
    «Wo sollen sie denn hinfahren?» fragte der Adjutant.
    «In die Heimat natürlich.»
    «Und sie glauben, die kommen zurück?»
    «Das überlasse ich Ihnen. Suchen Sie ein paar zuverlässige aus. Hardy, Baines, Forrest...»
     
    Leutnant Frank Hardy konnte es nicht glauben, als er die grauen bekritzelten Formulare vor sich sah. Urlaub! Weihnachtsurlaub! Und Fahrtausweise von St. Quentin (France) nach Ingerby (Angleterre). Er war wie benommen, als er aus der Schreibstube kam.
    Er hatte nur einen Gedanken: Alice. Er hatte keine Verwandten in Ingerby, und sein Zimmer dort hatte er schon vor Jahren aufgegeben. Sein einziges Zuhause war in den Armen von Alice Dorman. Für ihn gab es nur ein Ziel: Ingerby.
    Er ging in sein Quartier zurück und ärgerte sich, als er merkte, daß er zitterte. Seine eigenen Schwächen

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