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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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den Arm. «Aber ich möchte wirklich bei Taffy sitzen, Dad. Das braucht dir nicht leid zu tun.»
    «Na schön», sagte er säuerlich. Und Oma berichtete er: «Sie macht sich gar nichts draus. Ist ihr ganz egal, daß sie als Toms Witwe einen Ehrenplatz gehabt hätte.     «Das ist ja wirklich wie ein Schlag ins Gesicht», meinte auch Oma.
    Nachdem sie die Straßenbahnfahrt überstanden und auf dem Sitz, der ihren Namen trug, Platz genommen hatte, fühlte sich Oma, eingezwängt zwischen Opa und Alice, mit sich und der Welt sehr zufrieden. Will in Schwarz, mit glatt gebürstetem, vom Tee gelblich gefärbtem Schnurrbart, sah traurig und nachdenklich und vornehm aus. Und Alice - heute war Oma ganz froh, daß Alice sich zur Krankenpflege entschlossen hatte -, denn bei dieser Gelegenheit war die gestärkte Schwesterntracht genau das richtige. Tom, dachte sie, Tom hätte keinen Grund gehabt, sich seiner Familie zu schämen. Sie selber, in Tiefschwarz und mit leidgeprüfter Miene, war ein Muster der Heldenmutter. Und noch etwas machte den Genuß an ihrem Kummer vollkommen: Nell stand unten in der Menge, von allen Seiten eingeengt. Die ersten Takte von Die Toten marschieren erklangen langsam und getragen.
     
    Als Nell und Taffy nach der Feier heimgingen, trafen sie Vanwy. Nell hatte ihretwegen ein schlechtes Gewissen, denn sie wohnten nun schon zwei Wochen in ihrem neuen Haus und hatten Vanwy noch nicht eingeladen, nicht mal zu einer Tasse Tee. Das war nicht recht — aber sie war so schrecklich glücklich und wollte ihr Glück einfach nicht aufs Spiel setzen. Sie wußte nicht recht, warum sie ihr Glück aufs Spiel setzte, wenn sie Vanwy zum Tee bat. Das war natürlich töricht und vielleicht nur ein Aberglaube, aber sie hatte so ein vages Gefühl...
    «Wie gefällt’s dir im Geschäft, Vanwy?» fragte sie.
    «Oh - ganz nett. Bloß der Schlafsaal ist gräßlich.»
    «Wieso, gräßlich?»
    «Um halb zehn wird das Licht ausgemacht, und dann muß alles still sein. Wie im Gefängnis.»
    Mitleid überkam Nell. «Komm doch mit und trink mit uns Tee, Van.»
    «Ja, danke.»
    Sie kamen nach Hause, und Nell schloß stolz die Tür auf. Sie ließ Vanwy eintreten.
    Vanwy blickte sich um. Wie behaglich es hier war - der Teppich und die Sessel mit dem Sofa und das Glasschränkchen und die geblümte Tapete... Nell sah Vanwy an. Sie sah aus, als würde sie gleich anfangen zu weinen. Nell hatte sie noch nie weinen sehen. Selbst als kleines Mädchen hatte sie sich lieber die Lippe zerbissen, als eine Träne zu vergießen. «Van! Was ist denn — was fehlt dir?»
    «Es ist so — so gemütlich hier», sagte Vanwy. «Ich hab so was nicht mehr gesehen, seit ich...» Sie konnte nicht weitersprechen.
    «Komm, setz dich hierher», sagte Nell. «Wir lassen dich jetzt ein Weilchen allein und machen ein schönes Abendbrot. Komm mit, Benbow», fügte sie energisch hinzu, denn Benbow starrte Vanwy mit großen Augen an. Ein Erwachsener, der weinen wollte, das war immer aufregend für ihn.
    Aber als Nell dann mit dem Tablett zurückkam, war von Tränen nichts mehr zu sehen. Vanwy saß kühl und gelassen da, beherrscht wie immer. Und als sie sich verabschiedet hatte und mit hohen klappernden Absätzen die Straße hinunterstelzte, um in ihr Gefängnis zurückzukehren, spürten Nell und Taffy beide, daß ihr kleines Heim nicht mehr das gleiche war wie zwei Stunden zuvor.
    «Scheußlich, daß sie dahin zurück muß, nicht wahr», sagte Nell.
    «Ja.» Taffy schlug den Sunday Chronicle auf.
    «Ich würde es auch nicht gern tun. Mit all den Mädchen, und dann noch ’ne Aufpasserin oder so was.»
    «Nein.» Taffy war auf der Sportseite angelangt.
    Nell starrte ins Feuer. «Wir haben doch da noch das Zimmer, Taff. Und schließlich gehört sie zur Familie.»
    «Aber du möchtest sie lieber nicht hier haben», sagte Taffy halb fragend, halb feststellend.
    Nell schwieg eine Weile. «Nein», sagte sie schließlich.
    «Dann nehmen wir sie auch nicht.»
    «Nein», sagte Nell noch einmal und drehte an ihrem Schürzenzipfel. «Aber es ist... irgendwie nicht recht, Taffy», sagte sie schließlich. «Wo wir doch am selben Ort wohnen.»
    Er starrte schweigend ins Feuer - ernster als es sonst seine Art war. Endlich sagte er: «Tu’s lieber nicht, mein Herz.»
    Sie wandte sich ihm mit einem Ruck zu. «Warum nicht? Du magst sie doch, oder?»
    «Ja», gab er ruhig zu. «Ich mag sie. Ich dachte nur — lieber nicht.»
    «Ach, ich

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