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Und der Wind bringt den Regen

Und der Wind bringt den Regen

Titel: Und der Wind bringt den Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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weiß nicht», meinte Nell zweifelnd. «Ich wollte so gern Ruhe haben, weißt du. Mit dir allein sein - mit dir und Benbow. Und nun ist sie dazwischengekommen.»
    «Das hat nichts mit ihr zu tun», sagte Taffy überzeugt. «Sondern mit der Familie. Sobald die Familie auftaucht, gibt’s Ärger.»
     
    Eine Woche später bot Nell ihrer Cousine das Zimmer an. Zögernd und sehr dankbar nahm Vanwy es an.
    Sie fügte sich ohne jede Schwierigkeit in den Haushalt ein. Frühstück machte sie sich selber; sie war schon aus dem Haus, wenn Taffy und Nell herunterkamen. Mittags aß sie im Geschäft. Nach Hause kam sie erst, wenn es Zeit zum Schlafengehen war, und sie ging dann fast sofort nach oben in ihr Zimmer. Eine anspruchslosere Mieterin konnte man sich kaum vorstellen.
    Es war nicht ihre Schuld, daß in dem kleinen Zimmer nicht genügend Platz war für alle ihre Kleider und daß sie deshalb einiges in Nells und Taffys Kleiderschrank unterbringen mußte, so daß ihr zartes verführerisches Parfum allmählich den Geruch von Karbol und Mottenkugeln, die Nell verwendete, überdeckte. Es war auch nicht ihre Schuld, daß Taffys Blick oft mit einer Mischung aus Freude, Sehnsucht und Unsicherheit zu ihr hinüberwanderte, oder daß Benbow auf einmal viel mehr aus sich herausging. In seiner Welt hatte es bisher nur Großtanten, Oma und Tante Edith gegeben. Tante Vanwy war für ihn eine Märchenfee aus Tausendundeine Nacht.
    Es ist nicht mehr wie früher, dachte Nell oft bedrückt. Es ist nicht mehr dasselbe wie vorher. Warum bloß? Vanwy machte keine Arbeit im Haus. Und sie gehörte schließlich zur Familie. Mit Taffy kam sie gut aus. Benbow mochte sie auch. Arme kleine Nell! Sie hatte Vanwy ins Haus genommen, weil ihr Gewissen ihr sonst keine Ruhe gelassen hätte; und nun ließ es ihr keine Ruhe, weil sie nicht so zufrieden war, wie sie hätte sein müssen. Wahrscheinlich hatte Taffy recht: Familie und Reibereien - das gehört zusammen wie Wolken und Regen, wie Blitz und Donner.
    Doch der Sturm und Regen sollte erst noch kommen.
     
    Am 28. Juni 1919 wurde in Versailles ein Friedensvertrag zwischen den Alliierten und dem Deutschen Reich geschlossen. Der
    Vertrag hatte vierhundertundvierzig Paragraphen, und jeder dieser Paragraphen, das darf man wohl behaupten, versetzte irgendjemanden in Zorn und Empörung.
    Die Stadt Ingerby in den Midlands kümmerte sich nicht um solche Kleinigkeiten. Sie interessierte sich nur dafür, daß wieder Frieden herrschte, ihre Pax Britannica, die der Krieg so böse und für so lange Zeit unterbrochen hatte.
    Die Festlichkeiten sollten am zweiten Sonnabend im Juli stattfinden. Und die Leute aus der Gegend der Derby Road wollten das Fest auf den Spielplätzen feiern.
    Die Spielplätze waren eine Oase inmitten der schäbigen Straßen: eine Oase aus Kricketplätzen und Tennisplätzen und einem neumodischen Pavillon mit Umkleideräumen für Damen und Herren, einem Erfrischungsraum mit einer Teemaschine, in dem es auch klebrig-süßen Kuchen gab. Außerdem gab es ein grünbemaltes Podest fürs Orchester, Kieswege, an denen ein paar spärliche Bäume standen, müde Lorbeersträucher, und Schaukeln und eine Wippe. Nichts Großartiges. Kein Tivoli. Aber viele Bewohner liebten den Platz, denn mit ihm waren ihre frühesten Erinnerungen verbunden, zuerst mit den Schaukeln, später mit den Sportplätzen, mit Fußball und Tennis. Man war hier in weißen Flanellhosen herumspaziert, das Racket unter dem Arm und drei graue Bälle im Netz. Anschließend hatte man Tee getrunken, kleine Kuchen gegessen und dabei versucht, sein Bein unter dem eisernen Tisch behutsam an ein seidenes Knie zu drücken. Viele hatten ihren ersten Flirt hier erlebt, und ihre erste Liebe, und so gingen sie auch im Alter noch gern über die Kieswege und hörten dem Orchester zu, das Melodien aus der Bohème spielte. Für viele gehörten diese Erinnerungen zu den freundlichsten Zeiten ihres ereignislosen Lebens.
    Heute sah der Spielplatz ganz anders aus. Der Pavillon war mit Fahnen geschmückt. Weiße Fahnenstangen standen am Eingang, an denen die Fahnen der Alliierten flatterten. Die Kinderspielplätze waren mit weißen Seilen abgegrenzt, nahe dem Orchester war eine Tanzfläche aufgebaut, es gab eine Bühne, auf der das festliche Schauspiel stattfinden sollte, und zwei Zelte, ein großes für Tee und - trotz Will Dormans Protest - ein noch größeres für Bier.
    Die Familie Dorman war vollzählig erschienen. Sie setzten Oma zusammen mit Großtante

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