Und die Eselin sah den Engel
Aussehen eines Flagellanten, der sich erst kürzlich eine Selbstzüchtigung auferlegt hatte. Strähnen fettigen Haars klebten auf seinem schweißgefurchten Gesicht. Fliegen fraßen an seinen verkrusteten Mundwinkeln und tanzten um seine offenen glänzenden Augen, die das einzige Anzeichen von Leben waren an diesem bleichen reglosen Wesen; sie zitterten, zuckten von links nach rechts, rauf und runter, so, als sei in dem körnig vergilbten Nichts gar vieles für Euchrid gegenwärtig. Fürchterliches, denn sie waren aufgerissen, diese Pupillen, aufgerissen und wild.
Etliche Kästen standen an den Wänden: hauptsächlich Teekisten, vorne mit Hühnerdraht oder dünnen Stahlstangen abgedichtet; umgebaute Obstkisten, Fässer und Eimer; Blechtonnen; Pappkartons aller Größen; Milchkisten und Drahtbehältnisse. Käfige waren das, Zellen und Ställe und Hütten und Zwinger und Brutkästen und Beobachtungskammern. Man konnte kurz die scharfen Augen einer Wildkatze gefangenes Licht verblitzen sehen, oder einen gebleckten Hundezahn, das jähe Huschen schuppiger Haut, den öligen Flügel einer Krähe, die funkelnden Knopfaugen eines Rattenrudels in einem Käfig aus Blech und Draht.
Der Raum war unheimlich lautlos, wie verzaubert. Zu hören war nur das Rascheln von Stroh, das Knarren zu kleiner Gefängnisse, das Pfeifen des Windes durch Löcher in der Wand. In den Teekisten-Zwingern befand sich je ein wilder Hund; kaum einer konnte darin stehen. Sie lagen dort wie verdurstete Kühe, die reglos den Tod erwarteten. Andere waren von den Fallen so schrecklich verstümmelt, daß Stehen gar nicht mehr in Frage kam. Also lagen die Hunde größtenteils einfach in dem warmen schleimigen Stroh, betrunken von der Mischung aus Schnaps und Wasser, in der ihr Hafer oder Weizen schwamm. Braune Bandagen hingen lose von ihren Beinschienen, Stümpfen und eiternden Wunden.
Eine gescheckte Hündin erwachte aus ihrer Betäubung, zog sich auf ihren beiden Vorderstümpfen nach vorn und stieß mit der flachen Stirn an die Drahtluke ihres Zwingers. Ein betrunkenes Knurren stieg tief aus ihrer Kehle, sie entblößte ihr schwefelfarbenes Zahnfleisch und biß an dem Draht herum, so daß die ganze Kiste schaukelte und ein Dutzend anderer Tiere weckte, um ihren Herrn und Meister anzuflehen. Das Königreich schallte vom gequälten Protestgeschrei seiner Untertanen, doch der König machte keine Anstalten, den Tumult zu beschwichtigen, sondern ließ das Fauchen und Knurren und Bellen und Kreischen und Heulen immer weiter anschwellen, bis die ganze Hütte vom Protest der Tiere bebte. Erst dann geschah es, daß der König es für angemessen hielt, sich zu erheben. Langsam und schmerzvoll stand er auf, wie ein Gespenst, und warf sich die schmutzige Marinejacke um die Schultern. Langsam und gedankenvoll schritt er einmal im Kreis, als wolle er jedes einzelne der erbärmlichen Tiere in diesem Raum persönlich ansprechen, wobei er aber nicht die Käfige ansah, sondern den Dreck auf dem Boden, durch den er watete. Immer weiter ging er im Kreis herum, und er schien der Mittelpunkt von tausend Augen zu sein, die jedes nach seiner Weise sich schlossen oder glasig wurden oder schielten, während ihr König ein letztesmal den Raum umschritt. Er blieb stehen und betrachtete seine Umgebung. Die Tiere schliefen jetzt wieder besänftigt. Er seufzte tief auf.
Und dann knickte Euchrid in die Knie ein, zuckte vor Schmerz zusammen, legte sich wieder auf den Rücken, streckte die Arme auf seinem Sackhaufen von sich – nicht um zu schlafen, sondern um wie zuvor in die poröse gelbsüchtige Dunkelheit zu starren, die ihn verschlang.
Ich mußte alles in dem Königreich alleine machen. Ganz allein. Ich hatte keine Experten oder Ratgeber, keinen Braintrust, keine Beiräte oder professionellen Berater, keinen Mentor, keinen Nestor, nicht mal eine verdammte Küchenmagd. Ich meine, in ganz Hundskopf gab es keinen einzigen Lakaien zu prügeln, aber wißt ihr was – glaubt es oder nicht –, ich hab es geschafft. Ich hab es geschafft. Ja, trotz der Tatsache, daß der König, wenn die Vorräte ausgingen, selbst das Tarnkleid anlegen und in die Außenwelt kriechen mußte, hab ich es geschafft. Und obwohl der König selbst das Essen machen und seine treuen Untertanen füttern mußte, bin ich klargekommen. Ja. Ich bin klargekommen. Und obwohl ich eine Menge zu planen hatte, ganz zu schweigen von meinen selbsternannten Ämtern als Wachtposten, Polizist, Henker, Richter und Jury, Erzieher
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