Und die Eselin sah den Engel
zustellen. Aber da nahmen mir jetzt die verdammten Hunde die Sicht. Ich sah in den blauen Himmel, und ein Vogel mit krummen Flügeln flog finster durch mein Blickfeld und machte alles schwarz, und ich sackte nach vorne zusammen und schlief ein. Pennerschädel auf blutigen Stöcken – Nein! – Pennerschädel mit brünstigen Hundepimmeln zerstocherten meine Tagträumereien.
Diese letzten zwei Jahre, wißt ihr, waren ziemlich hart. Keine leichten, leichtsinnigen Jahre, nein, sondern ziemlich hart. Ihr wißt, was ich meine? Nein? Ich rede vom Unterschied zwischen gelebter Zeit und verbrachter Zeit und abgedienter Zeit. Kapiert? Ich rede auch von genommener Zeit, geliehener und nie zurückgegebener Zeit. Ich rede von glatt gestohlener Zeit. O ja. Wenn auch nicht im Schlaf, nein, aber – in so einer Art von Schlaf, nehm ich an. Diese letzten zwei ungesunden Jahre meines Lebens wurden jedenfalls mit der umständlichen Vermessung von Minuten und Sekunden und ihrem endgültigen Verstreichen verbracht. Oder genauer, wurden verbracht mit dem Versuch, solch verbrachte, abgediente oder geliehene Zeit zu erklären …
Diese letzten zwei Jahre, wißt ihr, waren ziemlich hart. Mein Erinnerungsvermögen – mein Gedächtnis – na ja, diese Fähigkeiten, wißt ihr, die einmal so scharf, so stark gewesen waren, wurden – wurden zerklüftet von klaffenden Schluchten voll grauer Wolle, wie nicht verzeichnete Kanalschächte auf der Straße der Erinnerung. Ganze Fragen gingen aus dem Rätsel verloren. Tage voller Nebel. Und Angst. Und Blut und Gelächter aus dem Dunkel.
Bitte, sagt mir. Ist euch das neu? Hab ich – hab ich euch das schon erzählt? Zu einem anderen Zeitpunkt? In einem anderen Geist? Bei irgendwelchen anderen Gelegenheiten, ich frage euch, die jetzt unwiederbringlich im Gewebe vergangener Tage verloren sind, in der zarten geisterhaften Seide des Gestern? Sagt mir’s, ich will es wissen. Sind diese Worte, die ich jetzt spreche – sind sie bereits Teil des Umhangs der Erinnerung, der um die Schultern meiner verlebten Zeit gehängt wurde? Wenn ich all die Totzeit auffüllen könnte – wie schön wäre dann der Umhang der Erinnerung? Verliehe er dem chaotischen Vergehen meiner erinnerten Tage ein wenig Klamauk? Oder wäre diese lumpige Uniform dann was Unsauberes? Würde Blut daraus fließen, Haut abfallen wie Kalenderblätter? Ich frag euch nur noch ein einziges Mal. Also paßt auf.
Hab ich all das schon einmal gesagt?
Hab ich euch von dem höllischen Schrecknis der Totzeit erzählt? Habt ihr von den Blutungen gehört? Von den Schüttelfrösten? Bloße Bruchstücke dahinrasenden Lebens behalten … wie ein paar Handvoll Wind. Die Zeit durchgedreht. Nacht und Tag, Folgendes und Verfolgtes, schlagen ihre leuchtenden Himmelsbälle von Horizont zu Horizont. Sonnenaufschläge und Mondreturns versengen das Gewölbe der Zeit mit ihrem irrsinnigen Hin und Her, Vor und Zurück, Dunkel und Licht, schwingen sie wie die Uhr eines Hypnotiseurs an der Uhrkette des Himmels – O ja, wie das Gependel einer nackten Glühbirne in einem leeren Zimmer. Eine Stunde! Ein Tag! Weg! Verkrümelt! Unbefleckt und unrettbar entflohen, um nie gelebt zu sein. Wie der Blitz. Totzeit! Totzeit! Wo gehst du hin?! Wer nützt dich, wenn nicht ich?! Die Mörder und die Ermordeten. Ermordung meines Lebens – meiner Lebenszeit. Die Streckbank meiner Tage, die langsame Tätigkeit von Kurbel und Walze, das endlose Klappern der Rädchen, die die Minuten verticken, das Knacken der Knochen und die Sekunden greller Schmerzen – die unerträgliche Dehnung der Zeit. Gelebter Zeit. Aber was ist mit all der Totzeit, mit all den ungeklärten Tagen? Wo gehen die hin?
Euchrid lag auf einem Haufen strangulierten Bettzeugs. Reglos im Mondschein, trug er ein Unterhemd, das mit dunklen runden Schweißflecken und traubenfarbenen Blutflecken bedeckt war. Seine Jeans waren steif von Dreck und geronnenem Blut. Sein Bett, ein Haufen Säcke auf dem Boden, war kaum zu unterscheiden von dem Unrat und Schutt und Tierkot, in dessen Mitte es lag. Erhellt von Mond und Lampe, schien der Schmutz in dem bleichen, aber stotternden Licht wie lebendig. Der hingestreckte Euchrid sah aus wie leblos. Gekreuzigt lag er auf seinem fauligen Haufen, die stockdünnen Arme weit ausgebreitet und übersät mit vielen schmerzenden Einstichen, die Bienenstichen gleich auf seinem wächsernen Fleisch glänzten. Die unbedeckte Haut seiner Arme und Schultern und seines Bauchs gab ihm das
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