Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
Vom Netzwerk:
schlug und zappelte ich mit meinen dünnen Gliedern in der scheppernden Luft herum.
    Als ich mein Lachen unter Kontrolle hatte und nur noch, ein bißchen verlegen über meinen Ausbruch, hinter vorgehaltener Hand kicherte, rappelte ich mich hoch und sah auf der Drahtfront des Zwingers die steife aufgedunsene Leiche einer Hündin liegen. Die Beine starr abgewinkelt, lag die aufgetriebene Hündin auf der Seite und sah aus, als wäre sie im Stehen gestorben, steif geworden und dann umgestürzt. Ich ging näher heran, und dann sah ich die feuchte madige Nachkommenschaft am bezitzten Bauch des Hundes wimmeln. Ich warf einen Kornsack darüber und taumelte auf mein Bett zurück.
    Mit einer Flasche Schalenschnaps spülte ich noch etwas Pulver runter, und schrumpfte dann auf dem Bettzeug zu einem Klumpen zusammen.
    Vom Schlaf geknebelt, hockten meine Vasallen in ihren Kisten; eingedämmert nach beendeter Lektion. Sie hatten die Ruhe wohlverdient, denn ich hatte mich den größten Teil des Tages mit pädagogischen Aufgaben beschäftigt. Sie glichen denen, die Vollkommenheit erlangen. Sie glichen denen, die in die großen Geheimnisse eingeweiht werden.
    Doch war es nicht bloßer Schlaf, dem diese Tiere erlagen, sondern ein trancehafter Zustand – obwohl man natürlich manchmal ein wenig nachhelfen mußte, um sie dahin zu bringen. Aber im allgemeinen reichte die durch die Enge – das Kerkerhafte ihrer Ställe – erzeugte Erschöpfung vollständig aus. Jedenfalls zog ich es vor, meine abnehmenden Vorräte an Beruhigungsmitteln nicht an meine tierischen Truppen zu vergeuden, zumal mir der Schlaf immer hartnäckiger den Eintritt in sein analgetisches Reich verwehrte. Tatsache ist, daß ich überhaupt nur einschlafen konnte, wenn ich, voll bis an die Kiemen mit K.O.-Pulver und Schalenschnaps, mich durch die Hintertür in die Schlafstadt einschleuste.
    Ich lauschte dem elektrischen Licht, aber auch das gab mir keinen Trost.
     
    Ich legte das Bändchen von ihrem Nachthemd auf meine Brust und fädelte ihre Haarlocke durch die Finger meiner rechten Hand.
    Und langsam senkte sich etwas auf mich herab. Aber war das Schlaf? Vielleicht ein Hexenritt? Ein Zauber? Ein kleiner epileptischer Anfall? Ein Wachtraum? Ein düsteres Sargtuch? Eine Halluzination? Ein duftig vorbeistreichender Engelsflügel? Ein Nichts?
    Nein? Ja? Vielleicht von jedem etwas. Zunächst ein zaghaftes Vergnügen, das nur aufkam, um gleich darauf in einem schmerzlichen Zusammenzucken zu vergehen. Eine Erleichterung, eine gewisse Ruhe, die eine Stunde Traum gewährt. Nicht mehr. Nicht weniger. Jene kleine Erleichterung, die einen herabzieht – versinken läßt – aber siehe! Gib acht. Hüte dich. Der Mantelsaum des Teufels, das brennende Haar – und die Liebe. Ach, die Liebe, holde Beth, da oben in deiner himmlischen Ruh. Da oben in deiner himmlischen Ruh. Da oben in deiner himmlischen Ruh.
     
    An diesem Tag hatte ich Hundskopf, meine Festung, verlassen, weil ich es nicht mehr aushalten konnte. Überm Westhang ging die Sonne unter, und das Firmament trug die langen Narben von langen blutigen Zirruswolken. Die Felder, schwer von Ertrag, angestoßen von einer warmen Brise, schwankten mit leise raschelndem Raunen.
    Normalerweise hätte ich mich in dieser Jahreszeit ganz besonders gegen den Pöbel vorgesehen, der wegen der bevorstehenden Ernte ins Tal zu strömen begonnen hatte. Einige der Wohnwagen im Arbeitslager waren bereits belegt, und in einer Woche würde das ganze Tal nur so wimmeln von diesen Herumtreibern, Säufern und Hungerleidern, und dann wäre es aus mit der Schonzeit für Stumme, und den Soldaten des Herrn ginge es wieder mal dreckig. Doch an diesem Tag im Jahre 1959 sollte mich die Anwesenheit dieser Männer vollkommen unvorbereitet treffen. Ich hatte anderes im Kopf, als ich den Hang zum Galgenbaum hinunterging, der sich noch immer in versteinertem Flehen krümmte; sein Gesuch harrte nochmaliger Prüfung – um Gnade – ein bißchen Gnade – damit wir nicht alle an Sehnsucht sterben.
    Das Zuckerrohr redete. Womöglich sprach es eine Warnung aus. Vielleicht sagte es: Gefahr. Gefahr. Aber ich hörte etwas anderes.
    Büße. Sagte das Zuckerrohr. Büüüüüüüssssßßßäääääähhh. Ein asthmatisches Zischen zu seinem leisen Geraune. Büüüüüüüssssßßßäääääähhh. Der Galgenbaum ächzte.
    Ich setzte mich auf eine Wurzel. Knirschte mit den Zähnen. Stand auf.
    Ich war verzweifelt, und ich büßte, und es ging mir ganz und gar nicht

Weitere Kostenlose Bücher