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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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gut.
    Es ist noch hell genug, daß ich die Abkürzung durchs Feld nehmen kann, dachte ich geistesabwesend; doch nein, eigentlich hatte ich mit Helligkeit und Abkürzung und Feld nicht viel im Sinn, nein – bei all der Finsternis in meinem Kopf und all dem Tod dort oben – und hier – all dem Häßlichen und all dem Kranken, all der Sünde und all dem Leid – O Gott! Wie lange muß ich noch weitermachen? Und ich zog meine Sichel aus dem Gürtel und warf sie über den Drahtzaun am Rand des Feldes.
    Hab ich euch erzählt, was ich erlitten hab, als ich auf Händen und Knien unter dem Stacheldraht durchgekrochen bin? Ich wurde: Gepeinigt, als ich hängenblieb. Gefoltert, als ich mir, bei dem Versuch mich loszureißen, ein Büschel Haare aus dem Schädel rupfte. Gedemütigt, als ich meine Hand von ungefähr in einen Haufen Schweinescheiße tauchte. Und mich auch noch reinkniete und überall damit vollschmierte. Und dann verlor ich die Beherrschung, packte meine Sichel und hieb damit nach allem, was mir im Weg stand – und das war zufällig ein Haufen Zuckerrohr. Ich erinnere mich an den sirrenden Stahl, und an die hohen grünenden Stengel – manche acht oder gar zehn Fuß hoch –, wie sie über mir zusammenkrachten, über mir zusammenkrachten, mich zerkratzten, mich schlugen und schrammten – und wie ich rücksichtslos die Sichel schwang und nur noch dachte hack hack, o ja, endlich, hack hack, endlich, endlich tut mein Arm was richtiges …
    Ich lag auf dem Rücken, starrte in den gewaltigen Himmel und rang zitternd meine blasigen Hände.
    Ich überlegte, ob ich nach Hundskopf zurückkehren und diesen elenden und sehr unchristlichen Abend in meiner Menagerie verbringen sollte, um meine Tiere weiter zu trainieren, aber die waren in letzter Zeit so anspruchsvoll geworden. Wenn sie doch nur – ich meine, weiß Gott, sie sind ja nicht die einzigen, die warten. Jedenfalls verspürte ich so etwas wie ein Bedürfnis, das mich mit zunehmendem Nachdruck aus dem Königreich getrieben hatte, das mir den Schlaf raubte und meine durchwachten Tage zur reinsten Hölle machte – ein Bedürfnis, das Hundskopf nicht mehr befriedigen konnte, das all die meinem Körper zugefügten Demütigungen nicht mehr bändigen konnte. Aber so sehr ich mich mühte, ich konnte ihm keinen Namen geben.
    Mit diesen verwirrenden Gedanken im Kopf kroch ich auf der anderen Seite des Feldes durch den Stacheldraht, ohne mich auch nur im geringsten nach etwaigen Verfolgern umzusehen. Ein Akt ganz untypischen Leichtsinns. Da gab es nichts dran zu rütteln. Und es sollte sich als äußerst schlimmer Fehler erweisen.
    Meine Kapitänsjacke zerrissen und mit Schweinedreck beschmiert, die Sichel noch immer in der Hand herumschwenkend, stolperte ich auf den Hof des Arbeiterlagers. An einem aufgebockten Tisch in der Mitte des Hofs saßen, ich glaub sechs frisch eingetroffene Arbeiter und schwangen über ein paar Flaschen Malzmaische große Reden.
    Ich blieb wie angewurzelt stehen. Ich starrte sie an, und sie starrten mich an. Ich wußte sofort, woran ich mit denen war.
    Es waren »Lebenslängliche« – alte Hasen. Seit sie alt genug waren, eine Machete zu schwingen, waren sie jedes Jahr zur Erntezeit ins Tal gekommen. Sie waren eine Rasse für sich, und was mich betraf, eine schlimme Rasse – die schlimmste von allen.
    Sie saßen alle auf einem Haufen, trugen stockfleckige Unterhemden, Segeltuchhosen und Armeestiefel. Ihre Gesichter waren rot und ledrig, und so vom Wetter gegerbt, daß die böse Linie ihrer Münder unter den tausend anderen Rissen und Narben nur an dem zerlutschten Stengel einer selbstgedrehten Zigarette zu erkennen war. In ihren Schädeln hatten sie kleine Pißlöcher, die als Augen dienten. Sie schwitzten und rülpsten und furzten, und Niedertracht, Gemeinheit und Brutalität quollen aus sämtlichen Pocken und Poren ihrer widerwärtigen Visagen.
    Mein Herz schien zwischen zwei Schlägen hängengeblieben, hielt sich ganz seltsam in der Schwebe, was meine Reaktionen verlangsamte. Ich konnte riechen, wie mir der Schweiß vor Angst sauer wurde, und wischte mir mit einem betressten Ärmel ein paar Tropfen aus den Augen.
    »Lauf!« dachte ich. »Lauf!« Aber ich konnte nicht.
    »Ja zum Deibel noch mal! Was zum …«, platzte einer von ihnen heraus und stemmte sich hoch, und der ganze Verein brach in Lachen aus, zeigte auf mich und haute auf den Tisch, glücklich wie Schweine in der Scheiße, daß so ein elender Hund wie ich erschienen war und sie

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