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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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das Haar. Ihre saubere Handschrift. Das Leuchten der Lampe, das ihren jungen Körper unter dem Baumwollkittel erkennen läßt.
    Ich beantwortete ihre Briefe jedesmal auf die gleiche Weise. Tauchte meinen Finger in einen versprenkelten Tropfen Nasenblut und malte damit den Buchstaben »G« an die Fensterscheibe. Doch nachdem sie das einmal als »Sichel aus Blut« bezeichnet hatte, fiel es mir schwer, ihm nicht wirklich diese Form zu geben.
    Ein weiterer Brief, der dritte oder vierte, lautete:
     
    LIEBSTER GOTT,
    Die weisen alten Damen machen mir Angst, Du aber nicht. Ich glaube, sie werden ungeduldig. Sie sagen, wenn ich nicht brav bin, wird der Regen kommen. Aber ich weiß, bald wirst Du bereit sein. Ich habe keine Furcht vor Dir, Gott, was auch immer kommen mag. Aber bitte mach es bald. Für sie. Mach es bald, was auch immer Du vorhaben magst.
    Ich liebe Dich.
    Beth
     
    PS. Warum wartest Du? Was stimmt denn nicht? Mache ich etwas falsch? Bitte sag es mir, damit ich es aufhören kann.
     
    Das Komische daran war, daß sie völlig recht hatte. Es würde bald passieren. Auch ich konnte das spüren. Und die Stimmen – die Sänger – schon bebten sie, erwachten, machten sich bereit. O ja, bald würde es passieren. Bald würde es passieren. Was auch immer.
    Ich lag ganz allein auf meinem Bett in der Düsternis, befallen von einer kläffenden Meute Schmerzen und Qualen. Ein tief in meinem Bauch wurzelnder Knoten nervöser Angst wühlte in mir wie ein Knäuel gefangener Aale, und ich ertrug all dies stumm und heldenhaft, das sag ich euch – ertrug all das, bis ich es nicht mehr ertragen konnte. Ich stemmte mich hoch, schmiß die Beine über den Rand meiner Pritsche, warf den Kopf nach hinten und krallte mich mit meinen bandagierten Händen in die Luft. Fiebernd und fast im Delirium vor Schlafmangel, kippte ich mir den Rest einer Flasche Schalenschnaps rein und kämpfte dann würgend, die betäubende Flüssigkeit unten zu behalten. Nackt umarmte ich mich. Ich schaukelte hin und her. Ich glaub, ich hab sogar geweint.
    Ich hatte eine ganz neue Traktorbatterie gefunden und dazu einen Karton mit 40-Watt-Glühbirnen. Der Karton war mit blauem Stift markiert, daher wußte ich, daß er aus dem Werkzeugschuppen bei der Raffinerie stammte. Wie ich an die Sachen gekommen war, und wie ich sie zu meiner Hütte transportiert hatte, war mir ein völliges Rätsel. Ich konnte mich überhaupt nicht daran erinnern. Wieder mal so ein unheimlicher Fall von Totzeit. Ich muß das Zeug selbst von der Raffinerie hergeschleppt haben, schloß ich, denn eine Erinnerungslücke schien mir, was meine geistige Gesundheit betraf, immerhin nicht annähernd so schlimm wie die Möglichkeit, einen imaginären Helfer zu haben, der mir nachts bei meinen Einbrüchen half.
    Ich verband die Batterie und eine der Glühbirnen behelfsmäßig mit einem Kabel und hörte zu, wie der Strom summend und knisternd durch den Draht fuhr. Blaßgelb pulsierte die Lampe, und wie gebannt hafteten meine Augen auf der summenden Kugel. Auf meinem Bett hockend, sah ich die Glühbirne zu einem lebendigen, atmenden Etwas werden, wie ein gespenstisches Menschenglied – ein gelbsüchtiges zuckendes Organ, das klebrige Klumpen wabbligen Lichts auspumpte. Ich schloß die Augen, konnte aber schon spüren, wie der Nervenknoten sich durch meinen Körper nach oben schraubte und mich zum Aufstehen zwang.
    Meine Beine fühlten sich seltsam an – unstabil –, und versuchsweise machte ich einen unglücklichen Schritt nach vorn, stolperte betrunken über einen Zwinger und warf den ganzen Kasten um, so daß er auf der vergitterten Vorderseite landete. Dumpf und schwer schlug in dem Käfig etwas auf.
    Als ich mich abmühte, den Zwinger wieder aufzustellen, mußte ich plötzlich lachen; ich zerrte und lachte aus aller Kraft, hoffte mich dabei zu erschöpfen, so völlig kaputt war mein Körper nach so lange entbehrtem Schlaf; grunzend und lachend zerrte ich an dem störrischen Zwinger – lachte über die Tiere in meinen Käfigen – mein Königreich – die Stadt – das Tal – den ganzen stinkenden beschissenen Planeten – lachte und stemmte, bis der Zwinger sich von seiner fest im Boden steckenbleibenden Drahtfront losriß.
    Die leere Teekiste noch in den Händen, flog ich rückwärts in einen Haufen Kornsäcke. Nackt und hilflos lag ich lachend auf dem Rücken, und ein Stapel öliger Kerosinkanister brach krachend über mir zusammen. Wie ein todgeweihtes Insekt, auf das die Nadel wartet,

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