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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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meine Lungen saugte, hörte ich, wie die Stimmen sich langsam aber sicher vermehrten – denn die ursprüngliche Bande von Halsabschneidern bekam Verstärkung – von allen Seiten –, so daß mich nun nicht mehr ein halbes Dutzend durchgedrehter alter Knacker verfolgte, sondern eine mit jeder Sekunde anschwellende Pöbelflut – ein bösartiges und lärmendes Übel, das todrünstig roten Staub um sich aufwirbelte. Und hörte ich da nicht auch einen öder zwei Hunde bellen?
    Ich erlaubte meinem Kopf, sich ein Bild von ihnen zu machen – o mein Kopf, was für ein Aufruhr da drinnen – hier drinnen – vergeßt es – ein riesiger Hundertfüßler, Tausendfüßler – denn unablässig wuchs die Zahl – die fuchtelnden Glieder bewaffnet mit Heurechen, Macheten, Axtstielen, Ketten, Seilen, Stöcken und Steinen – hastete es näher, ja, gewann an Boden. Ja, ich konnte es hören. Mein Kopf dröhnte von mannigfaltigem Poltern, Blutschwüren und Todesdrohungen, und dann passierte ich das Ortsschild und stürmte geradewegs in die Stadt hinein.
    Und rannte weiter. Und rannte weiter. Und rannte weiter.
     
    Und während ich so rannte und weiterstürmte, mußte ich daran denken, was diese Tiere Queenie angetan hatten. Hab ich euch von Queenie erzählt? Nein? Hab ich euch erzählt, was die mit Queenie gemacht haben? Nein. Hab ich nicht. Nein, hab ich nicht, glaub ich.
    Ich hab euch doch von dem lahmen Penner erzählt, und von Kike, dem Jesusmörder – diesen zwei fiesen Säufern von der Ruhmes-Ebene.
    Wißt ihr noch? Ja? Nun, Queenie war ’ne Freundin von Kike. Wo er die aufgegabelt hat, weiß ich nicht mehr.
    Nehme an, sie ist aus einer dieser Blechhütten gekrochen, die, versteckt in dichtem Gehölz, auf der anderen Seite des Westhangs stehen – bin mir aber nicht sicher – jedenfalls wüßte ich nicht, daß damals irgendwelche Monstrositätenshows hier durchgekommen wären. Eines Abends, als ich denen ihre Ration Fusel in die Kirche brachte, war sie einfach da.
    Queenie sprach nicht viel, aber sie lachte gern sehr laut und lauschte dann dem Echo ihres Lachens. »Lachende Queenie« war der Titel, mit dem Kike, der große Namensverleiher, sie beehrte. Sie war eine von Gottes weniger komplizierten Schöpfungen und fand ihr Vergnügen an ganz einfachen Dingen. Am glücklichsten war sie, wenn sie in ihrem schmutzigen blauen Kleid, eine Flasche White Jesus in den pummeligen rosa Händen, auf dem Altar saß – ihrem »Thron«, wie Kike sich ausdrückte. Dort hüpfte sie auf ihrem Hintern auf und nieder und stieß bei jedem Plumps ihres fetten kleinen Körpers ein lautes »Ha!« aus. »Ha! Ha! Ha! Ha!« Und Echo und Widerhall ihres Lachens stauchten sich ineinander, bis die ganze Kirche von ihrer Fröhlichkeit zu vibrieren schien. Selbst der grimme blutleere Jesus, der, gespenstisch in seiner unerlösten Weiße, über dem Altar hing – ja, selbst Er schien auf Seinem Gestell zu beben. Dann machte Queenie eine Pause, hob die Flasche an ihren Mund, trank, steckte sich die Flasche zwischen die Beine, und fing, die kleinen runden Augen stumpf und leblos mitten im Gesicht, wieder von vorne an.
    Kike applaudierte, und der immer mürrische Penner mit dem verstümmelten Fuß schmorte in seinem Winkel und hielt sich die Ohren mit Gebetbüchern zu.
    Kike soff sich einen an, und für ein paar Fingerbreit White Jesus durfte er Queenie auf zwei zusammengeschobenen Kirchenbänken pimpern. Der andere Penner, der mit der Narbe und dem kaputten Fuß, rezitierte dazu Bruchstücke aus dem Buche Leviticus, bis er ganz heiser war, und wandte sich dann mit Tränen in den Augen und einer Viertelflasche verwässerten Fusels, die er ihr mit zitternden Händen darbot, flehentlich an Queenie.
    Queenie sammelte mit kindlicher Geschäftigkeit die bunten Etiketten von Schnapsflaschen, und wenn ihm der Alkohol ausging, durchstöberte Kike den Müll auf dem Kirchenboden nach geeigneten, noch nicht zerbrochenen Flaschen. Dann ging er in den Anbau, krempelte sich die Ärmel hoch, weichte die Flaschen eine nach der anderen im abgestandenen Wasser des Taufbeckens ein, zog vorsichtig die papierenen Etiketten ab und legte sie ordentlich auf einer Sitzbank zum Trocknen aus.
    Ich war damals ungefähr sechzehn, und angelockt von den Leuchtfeuern des Wissens, die trübe durch den Nebel meiner Jugend winkten, erklomm ich die Treppe zur Kanzel und belauschte von dort oben das unzüchtige Treiben.
    Der schnapsverschrumpelte Krüppel tauchte in Queenies schmatzende wunde

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